W 1045 20 einzigen im Lande bleiben, die es der Mühe für wert halten, diese Fühlung auf Grund ein- gehender Studien herzustellen, solange hat die Mission einen hohen weltlichen Trumpf in der Hand. Sie hat ihn mit Erfolg in den achtziger Jahren im Herero= und Namalande ausgespielt, indem sie den englischen Einfluß zugunsten des deutschen lahm legte. Wie steht es nun auf geistlichem Gebiet? Darf die Mission mit den Erfolgen der Christia- nisierung der Hottentotten, wie sie heute vor- liegt, zufrieden sein? Altere Missionare, die ich sprach, verneinten die Frage: Die Arbeit fast eines Jahrhunderts hätte andere Früchte zeitigen müssen. Inwieweit überhaupt ein Hottentott imstande ist, den Geist des Christentums so aufzunehmen, daß er nicht nur sein Lassen, sondern auch sein Tun bestimmt, könnte ein vorurteilsfreier Missionar am besten beurteilen. Meine eigenen, wenig ermutigenden Erfahrungen in diesem Punkte haben sich mir immerhin zu oft bestätigt, als daß ich sie alle für zufällig ungünstig ausgefallene und deshalb das Gesamturteil einseitig bestimmende Eindrücke halten könnte. Obwohl ich vorwiegend mit solchen Hottentotten zu tun hatte, die nicht zur Missionselite gehörten, so hütete ich mich doch, jenes tiefe Niveau, aus dem sich mit Leichtigkeit jedes pessimistische Urteil begründen ließe, der Beurteilung zugrunde zu legen. Der Durchschnittshottentott sieht im Christen- tum nicht zum geringsten ein Vorzugsattribut des weißen Mannes. Wie er sich in dessen Joppe und Hose oder Buntdruckrock mehr dünkt als sein Bruder oder seine Schwester im Fellschurz, so sieht er auch in seiner Zugehörigkeit zur christ- lichen Kirche eine standesgemäße Errungenschaft des modernen Hottentotten. Diese Anschauung ist meist mit Verachtung alter Volkssitten verbunden, auch da, wo sie mit der neuen Religion nicht in Konflikt stehen. Als Uübereifer eines tatkräftigen Vorsatzes, sich auf neuer Grundlage hoch zu bringen, würde man diese Selbstverstümmelung hinnehmen. Aber der Hottentott ist zu träge und überdies zu gewitzigt, er sieht im sozialen wie im Privatleben des Weißen zu klar den Gegensatz von christlicher Theorie und Praxis, als daß er für gewöhnlich andere ethische Anforderungen an sich stellte als im besten Falle die, die ihm als soziale Normen des eigenen Volkslebens aus der Heidenzeit an sich noch einleuchten: Die Nächsten- liebe der Hottentotten im Sinn steter gegen- seitiger Hilfe, ihre Ehrfurcht vor dem Alter, Ent- haltsamkeit fremdem Eigentum gegenüber (wenn auch nur gegenüber dem Eigentum der Stammes- genossen untereinander) sind solche antochthonen Gebote, die sich mit denen des nachträglich ein- geführten Christentums decken. Die Sagen und die übrigen Phantasie- vorstellungen der Hottentotten boten vielleicht zu wenig Berührungspunkte, um die christlichen Ideen, ähnlich wie sie in unserem Volk mit dem germanischen Heidentum verwuchsen, so auch hier organisch anzugliedern. In der Tradition der Volkssitten wurzelte, was man von guten Grund- sätzen und Lebensregeln der Hottentotten kennen gelernt hat. Der Verlust dieser volkstümlichen Grundlage im Zusammenhang mit einer voll- ständigen Umwälzung der wirtschaftlichen Grund- lage ihrer Existenz seit Überhandnehmen des weißen Einflusses hat das Hottentottenvolk auch sittlich verwahrlosen lassen. Mit Bibel, Katechis- mus und Gesangbuch, Kirchgang, Sonntagsschule und Abendmahl, Lese-, Schreib= und Singstunden läßt sich ein solcher Ruin nicht aufhalten. Daß man versucht hat, auf diesem Wege zum Ziel zu kommen, wird niemand dem einzelnen Missionar, der seine Lebensarbeit an das Volk gesetzt hat, zum Vorwurf machen wollen. Im System liegt der Schaden: Den Namen des Stifters, dessen Leben ein einziges großes Sich- selbstopfern war, darf doch nur der führen, der wenigstens des kleinsten Opfers im Dienste der Mitmenschen, der Arbeit, sei es auch nur für sich und seine Familie, fähig ist. In diesem Sinne sind wenig Hottentotten Christen geworden. Die systematische Erziehung der Eingeborenen zur Arbeit ist wirtschaftlich oft geung gefordert worden. Sie scheint mir aber auch eine unab- weisliche religiöse Forderung an die christliche Mission zu sein. Arbeit stellt im Namaland, wie in jeder Kolonie, die einzige Möglichkeit für den Eingeborenen dar, in dem hereinbrechenden Kulturstrom wirtschaftlich sich über Wasser zu halten. Und die Erfahrung hat weiter gezeigt, daß ein wirtschaftlich verkommenes Naturvolk auch sittlich sinkt, weil es um des täglichen Brotes willen zu jedem Dienst der überlegenen Rasse feil wird. So mutet also die Forderung der Arbeits- erziehung des Eingeborenen dem Missionar keine programmwidrige Verweltlichung seiner Aufgaben zu, weist nur auf einen Weg zur sicheren Fun- dierung seiner religiösen Aufgabe hin. Die weiße Bevölkerung anderseits wird der Mission für einen geschulten Arbeitschristen dankbarer sein als für neunnndneunzig bibelfeste, aber arbeitsscheue Himmelskandidaten. Ob es sich bewähren wird, nach englischem Vorbild einen eigenen Beamten für Eingeborenen- angelegenheiten zu bestellen, ob ein solcher Be- amter bei Ausübung seiner Pflicht auch in der genannten Richtung einer systematischen Arbeits- erziehung der Eingeborenen, eines organisierten