GW 1197 10 sondern auch erobert und verteidigt werden müssen. Den Vorwurf müssen wir uns aller- dings machen, daß wir zu lange auf die Mittel der friedlichen Eroberung und Verteidigung ver- zichtet haben, nämlich auf Eisenbahnen und Verkehrswege, und deshalb mit groben Waffen und unverhältnismäßigen Kosten zu regieren war. Ein Fehler, der um so schwerer wog, weil wir nicht etwa äußere Feinde zu bekämpfen hatten, sondern unser eigenes Land verwüsten und unsere eigenen Schutzbefohlenen vernichten mußten. Ziehen wir uns daraus eine Lehre! Die Deutsche Kolonial- Gesellschaft verdient aber einen Vorwurf hieraus am allerwenigsten, denn sie hat nie aufgehört, auf die Wichtigkeit zuverlässiger Verbindungen hinzuweisen und praktische Vorarbeit zu tun. Die Engländer rechnen nach langer Erfahrung einen Zeitraum von dreißig Jahren, bis eine Kolonie aktiv werden kann. Diese dreißig Jahre sind noch nicht vorüber. Aber daß wir in manchen unserer Kolonien diese dreißig Jahre nicht werden abzuwarten brauchen, zeigt Ihnen neben dem Beispiel von Togo Ostafrika, das ja jetzt so stark im Mittelpunkte der Kolonial- interessen steht. Gewiß, wir haben noch einen Zuschuß von 4 730 000 Mk. in diesem Etat. Aber darin sind noch 600 000 Mk. für eine Rente an die Ostafrikanische Gesellschaft und der gleiche Betrag für Wegebauten, für die Ostafrika leicht eine Anleihe erhalten und verzinsen könnte, und ohne eigene Bahnen von Bedeutung hat dieses Land in einem Jahre (1906) eine Mehr- einnahme von 1 700 000 Mk. und in fünf Jahren durchschnittlich über 600 000 Mk. mehr per Jahr an Steuern und Zöllen aufgebracht. Dies ist um so wichtiger, als das reiche Innere des Landes noch nahezu unerschlossen ist, und als von dem nach einem mäßigen Stenersatze veranlagten Hüttensteuer-Soll mangels geeigneter Erschließung des Landes bis jetzt höchstens ein Viertel einge- hoben werden konnte. Das eine Viertel war für 1906 1 839 000 Mk. Es ist also der Zeit- punkt heute schon erkennbar, an dem das Land aktiv werden wird, und dieser Zeitpunkt rückt um so näher, je schneller wir die Erschließungs- bahnen bauen. Hier aber gebietet es die Gerechtigkeit, einer anderen Erwägung Raum zu geben. Keine Er- schließungsbahn kann einen umfangreichen Ver- und seine exekutiven Organec, oder Schutztruppe, ersetzen oder machen. Man kann diese Truppen aber entbehren kann man sie nicht. Nun sind die Kolonien zwar ein wichtiger und wertvoller nationaler Besitz, aber sie spielen doch im Vergleich mit unserem ganzen staatlichen Mechanismus eine untergeordnete Rolle, und d. h. ökonomisch steht ihre Leistung noch im Anfang. Deshalb haben sich ihre Bedürfnisse einzu- passen in das große Ganze, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was die Nation leisten kann oder sie selbst aufbringen. Solange aber die eigenen Einnahmen und die Zuschüsse des Reiches für Verwaltung und Sicherung not- wendig sind, können und konnten sie kulturellen Aufgaben nur im minderen Umfange zugeführt werden. Hier nun ist es ein Ruhmesblatt für die deutsche Kolonialgesellschaft, daß sie helfend und fördernd eingesprungen ist, daß sie alle Mittel, die sie besaß oder flüssig machen konnte, für solche kulturellen Aufgaben verwendet, und daß sie unendlichen Fleiß und selbstlose Arbeit eingesetzt hat, wo die staatlichen Mittel nicht hinreichten, den entsprechenden Apparat zu schaffen. Hierhin gehören die jetzt im elften Jahre stehenden Arbeiten des Kolonialwirt- schaftlichen Komitees, Wirtschaftlichen Aus- schusses der Deutschen Kolonialgesellschaft, das unter seinem unermüdlichen Vorsitzenden Vor- treffliches geleistet hat, hierher gehören die Seg- nungen, die Südwestafrika aus der Wohlfahrts- lotterie in Wassererschließung und Neubestockung erfährt, und die vielen wissenschaftlichen wie wirt- schaftlichen Expeditionen, die zu zahlreich sind, um sie hier aufzuzählen. Und diese Tätigkeit ist um so anerkennenswerter, als auch sie nicht ohne Anfechtung geblieben ist, hat man doch noch vor kurzem in der Presse versucht, die Tätigkeit des Kolonialwirtschaftlichen Komitees auf dem Ge- biete des Baumwollbaues, der nahezu in allen unseren Schutzgebieten sicher eine erhebliche Zukunft hat, zu diskreditieren. Mußten bisher die Einkünfte der Schutzgebiete im wesentlichen der Verwaltung und Befriedigung derselben gewidmet werden, so darf man sich nicht wundern, daß der Gesamthandel der Schutzgebiete noch keine sehr hohe Ziffer er- reicht hat. Mit Tintenfaß und Gewehr schafft und erschließt man keine wirtschaftlichen Werte; dessenungeachtet brauchen wir nicht unzufrieden zu sein. Der Gesamthandel der Deutschen Schutz- gebiete im Jahre 1906 betrug ohne Regierungs- güter 106 760 000 Mk., gegen 1905 mehr 20 811 000 Mk. = 24,2 Proz. Scheidet man Südwestafrika aus, in dem zur Zeit noch anor- male Zustände herrschen, so ist die Zunahme noch 12,75 Proz. Hierbei beträgt der Handel Ost- afrikas allein 36 147000 Mék., mehr gegen 1905 8542 000 Mk.; das bedeutet eine Stei- gerung von über 30 Proz. Von diesem Handel entstammen den Ländern am Victoria-Nyansa 7 157 000 Mk. Dieser Handel ist in vier Jahren entstanden, eine Folge der Bahnverbindung mit