G. 1206 e## kein Wunder. Dort sind tüchtige, gut gebante, fleißige und geschickte Leute; sie sind alle Acker- bauer, mehr oder weniger landsässige schwarze Bauern und zwar einen Teil des Jahres als Träger im Lande herumziehend oder Handel treibend, aber doch mit Vorliebe ihre Felder bestellend. Der Taborabezirk ist ungefähr so groß wie das Königreich Bayern und hat eine Million Ein- wohner. Es ist eine Hochsteppe mit vielen ein- zelnen Gneißkuppen in grotesker Form. Wo Wasser vorhanden, ist sie überall besiedelt, sonst mit einem Buschwald bedeckt. Die Leute bauen sich ihre Nahrung selbst, Vieh halten sie als bewegliche Vermögensobjekte, mit denen man Handel treiben, Steuern bezahlen und Franen kaufen kann. Die Bedürfnisse sind nicht klein, der Erwerbsinn ziemlich rege. Daß schon eine erhebliche Ausfuhrproduktion da ist, haben Ihnen die Ziffern gezeigt. Hochwertige Produkte kommen von überall aus dem Hinterland; Mais und Olfrüchte nicht weiter als 150 km. 150 km ist ungefähr der fünfte Teil der Ausdehnung des Landes. Sie können sich denken, welcher Handel entstehen wird, wenn man eine 150 km Zone nach der anderen erschließt. Das ganze Land macht einen friedlichen Eindruck, aber ich möchte über das Wort „Eindruck“ nicht hinausgehen. Die Sultane erscheinen auf den Lagerplätzen und jeder zeigt mit einem gewissen Stolz sein Papier vor, worin auch ihm auf Grund des Kaiser- lichen Schutzbriefes der Schutz des Deutschen Reiches versprochen ist. Dieses Papier wird sehr in Ehren gehalten, wie überhaupt all und jede Sorte Papier mit europäischen Schriftzeichen. Das ist von gewissenlosen Weißen und schlauen Schwarzen oft mißbraucht worden, so daß Re- gierungsladungen jetzt nur mehr auf schwarz-= weißrot gestreiften Scheinen ausgestellt werden. Ich habe herrliche Viehherden, sehr wohl be- stellte Felder in großer Anzahl gesehen und habe von dem ganzen Land einen guten und tüchtigen Eindruck. Die weiße Verwaltung genießt, soweit sie sich ausdehnen kann, Vertrauen. Aber natürlich ist sie hier sehr beschränkt, denn im diesem Lande, so groß wie Bayern, ist nur ein weißer Bezirks- amtmann und ein weißer Bezirkssekretär. Das ist der ganze Beamtenstand. Und es ist eine Reise vom Südende zum Nordende von 30 Tagen oder mehr. Auch sind die Arbeiten so umfang- reich, daß die Beamten kaum Zeit finden, sich vom Verwaltungssitz wegzubegeben, besonders da sie auch noch die ganze Gerichtsbarkeit zwischen Weißen und Eingeborenen zu besorgen haben. Eine Gerichtsbarkeit über eine Million Menschen! In ganz Tabora waren 12 Weiße, 2 Beamte, 4 Offiziere und Unteroffiziere, ein Postbeamter, 2 Missionare und 1 Arzt, drei Kaufleute und Arbeitsanwerber. In einer Stadt von 40 000 Köpfen! Da gehört denn ein großes Maß von Takt und Anpassung an die Landesgebräuche dazu, um jederzeit korrekt zu sein und dabei das Vertrauen der Eingeborenen zu behalten. Man muß diese Verhältnisse sich ernst vergegenwärtigen, will man einen gerechten Standpunkt einnehmen gegenüber dem Tun und Lassen unserer Beamten da draußen, deren Aufgabe eine schwere ist, selbst wenn man nicht rechnet den Einfluß des tropischen Klimas und der tropischen Sonne, die Abgeschlossen- heit von allem Berkehr, den Mangel jeder Zer- streuung, die Unmöglichkeit, sich einer Gesellschaft zu entziehen, die einem oktroyiert ist und auf deren Zusammensetzung man keinen Einfluß hat. Und man wird sagen müssen, daß jeder deutsche Kolonialbeamte, der sich mit Ehren seiner Aufgabe entledigt, eine große und dankenswerte Leistung vollbringt, und daß es nur der Tüchtigkeit und der Entsagung des deutschen Beamtenstandes zu danken ist, daß wir mit so wenig Leuten noch auskommen. Weil mich die Frage der Rechtspflege ganz besonders interessiert (denn sie ist das Fundament nicht bloß der Herrschaft, sondern des Vertrauens), habe ich, wo immer ich konnte, den Gerichts- sitzungen beigewohnt und auch in Tabora einen ganzen Vormittag damit verbracht. In der Nähe der Boma, der Feste, steht ein großer tempel- artiger Rundbau, ein spitzes Dach auf hölzernen Säulen, die unten durch eine Art Balustrade miteinander verbunden sind; rückwärts geht die Mauer bis oben hin, innen ist eine Erhöhung, auf welcher der weiße Beamte an einem Tische sitzt. Auf dieser Balustrade sitzen zunächst der Bürgermeister von Tabora, ein Araber, der als Dolmetscher fungiert, 4 oder 5 angesehene ara- bische Gutsbesitzer, ebensoviel indische Kaufleute, ein Teil der 260 Sultane, die von der deutschen Herrschaft bestätigt sind, die Abgesandten der anderen Sultane, die nicht gerade anwesend sein können. Im Gerichtsraum stehen mehrere Askari zur Aufrechterhaltung der Ordnung, und der ganze Boden ist bedeckt von hockenden, teils neugierigen, teils interessierten Zuschauern; ebenso gucken sie rechts und links über die Estrade hinüber. Ich rechnete, daß wohl über 300 Menschen anwesend waren an einer Gerichtsverhandlung, in die ich ohne Anmeldung hineingekommen bin. Zunächst werden alle Bekanntmachungen, Verordnungen usw. verlesen und erklärt in der Art, wie sie in Deutschland manchmal noch ausgeschellt werden. Dann werden die Fälle einer nach dem anderen aufgerufen, aber auch solche, die nicht angemeldet oder vorbereitet sind, kommen zur Berhandlung. Kläger und Beklagter stehen auf, es beginnt die