G 245 20 tung hat in dieser Hinsicht die Vorsicht gefehlt. Unruhen, die auf Steuererhebung zurückzuführen sind, bilden leider eine noch schwebende Frage. Die Schaffung gewisser Monopole in Indo- China hat z. B. schwerwiegende Proteste der Eingeborenen heraufbeschworen. Sie haben sich lebbaft gegen diese Auflagen ausgesprochen, die ihnen als gewalttätige Willkür erschienen. Die praktische Einführung dieser Monopole, besonders desjenigen der Erzeugung und des Verkaufes von Alkohol, setzt die Bevölkerung verdrießlichen Ver- folgungen aus. Der Eingeborene, der sich in seiner Freiheit und in seinen Gewohnheiten ver- letzt fühlt, schreitet zur Gewalt. Monopole bilden in einem verhältnismäßig neuen Lande ein Mittel, das mit der größten Vorsicht zu benutzen ist. Der Eingeborene versteht nicht, warum man ihm von heute auf morgen das Recht nimmt, den Spiritus, den er verbraucht, selber herzustellen. Er gibt sich von den Gründen dieser Maßregel keine Rechenschaft. Dieses Besteuerungsverfahren wird dem weisen staatlichen Grundsatze nicht gerecht, daß der Eingeborene auf greifbare und unmittel- bare Art soviel wie möglich den Vorteil ver- stehen soll, den man ihm rückwirkend aus der auferlegten Steuer verschafft, wie immer deren Natur oder die Art ihrer Erhebung sein mag. Eine sehr lehrreiche Bemerkung über dieses Thema enthält der allgemeine Bericht über die Ausstellung in Lüttich (Abteilung für Kolonisie- rungsverfahren): „Wer zahlt, muß sich beim Zahlen sagen: Ich mache ein gutes Geschäft, weil die Verwaltung mir dafür einen höheren Wert als die Gebühr, die sie mir auflegt, ge- geben hat.“ Damit die Steuer leicht genommen werde, ist in gewissen Fällen sogar nötig, daß sie für die Eingeborenen die Gelegenheit des Emp- fangs einer unmittelbaren und greifbaren Wohltat! bedeutet. So wird im Kongostaate die Steuer- erhebung sehr weise derart ausgeführt, daß jeder Eingeborene, der seinen Kautschuk bringt, womit er die Steuer bezahlt, dafür eine kleine Summe Geldes erhält; diese Summe ist natürlich geringer als der übliche Wert des Kautschuks, aber sie bildet für den Eingeborenen einen ergänzenden Vorteil, denn ohne die Verpflichtung, die Steuer zu zahlen, würde er sich enthalten haben, den Kautschuk zu gewinnen, den man ihm bezahlt hat. Diese Behandlungsweise erzielt also ein doppeltes Ergebnis: Sie sichert dem Eingeborenen eine materielle Wohltat und verschaft ihm wie dem Staate den sittlichen Vorteil seiner erhöhten Arbeitsfreudigkeit. Sittliche Entwicklung des Eingebore- nen. Neben dem materiellen Wohlstande, den wir dem Eingeborenen sichern müssen, sind wir auch gehalten, ihm das sittliche Wohlbefinden zu verschaffen, indem seine geistigen Fähigkeiten ent- wickelt und nutzbar gemacht werden. Unsere Pflicht ist, den Eingeborenen zu erziehen, ihn zu unterweisen, „seinen Verstand durch einen seinen Bedürfnissen immer besser angepaßten Unterricht zu fördern“. Diese Aufgabe ist schon vor einigen Jahren durch den Kongreß für koloniale So- ziologie sehr treffend gekennzeichnet worden: „Die kolonisierenden Mächte müssen dem Unterricht der Eingeborenen eine ganz besondere Sorgfalt widmen. Sie dürfen nicht vergessen, daß dieser Unterricht ein zurechtgemachter Unter- richt sein muß, das heißt, daß seine Lehrarten und seine Pläne den geistigen Eigenschaften der Eingeborenen angepaßt sein müssen. Er muß ferner wesentlich erzieherisch sein, d. h. er darf nicht nur den Zweck haben, den Eingeborenen gewisse berufliche Kenntnisse beizubringen, sondern er muß dauernd darauf ausgehen, ihre sittliche Besserung zu sichern.“ Allerseits haben sich Gruppen gebildet, um dieses Streben zu fördern. Der „Ausschuß für republikanische Betätigung in den Kolonien“ unter dem Vorsitze unseres hervorragenden Kollegen, Herrn Guieysse, ehemaligen Ministers der Ko- lonien, hat sich als Ziel gesteckt, unser überseeisches Reich zu „demokratisieren“ und darin endlich „die Grundsätze des Fortschritts, der Gerechtigkeit und des Laientums“ triumphieren zu lassen. In diesem Geiste hat der Ausschuß einen weitaus- greifenden Plan entworfen, aus dessen Gesamtheit wir die nachstehenden Grundlinien herausziehen; der Ausschuß will: 1. die Sklaverei, die Mißbräuche der Macht, den Alkoholismus und den Mißbrauch des Opiums bekämpfen; 2. an allen Werken zur Verbesserung des Loses der Eingeborenen und zu ihrer Befreiung tätig mitarbeiten; 3. die Einrichtungen auf Gegenseitigkeit, den genossenschaftlichen Beistand, Hilfsgesellschaften, Syndikate, Ruhegehaltskassen, Unterstützungen usw. fördern; 4. den Anstoß zur Erziehung der Eingeborenen durch eine Zusammenfassung des Unterrichts in all seinen nützlichen und praktischen Arten geben (Laien-Missionen, Schaffung von Ackerbauschulen, Holzbearbeitungswerkstätten, Schlossereien, wissen- schaftliche und ärztliche Stellen, Krankenhäuser, Heime für Aussätzige usw.); den Unterricht mit Gründlichkeit und Weis- heit entwickeln, das heißt, danach streben, die Schranke umzustürzen, die bis jetzt den Ein- geborenen vom Europäer getrennt hat. Wie soll man einander verstehen, einander kennen, wenn man abweichende Sprachen spricht? Wie läßt sich von einem sittlichen Verstehen