W 575 20 war fast durchweg mäßig, auch führte ein schmaler, stellenweise freilich kaum erkennbarer Pfad auf der Kammhöhe entlang. Der Boden unter den Erikazeen-Büschen, dem Knieholz der afrikanischen Gebirge, war mit einer dichten tiefen Lage weißlicher und brauner Torfmoospolster und anderer Moose bedeckt, ganz wie man es in Deutschland stellenweise auf dem Kamm des Riesengebirges sehen kann. Unangenehm waren nur einige Strecken, auf denen die Erikazeen zu Bäumen herangewachsen waren, und umgestürzte Stämme und Wurzeln ein von trügerischer Moos- decke überzogenes „Klettergerüst“ bildeten, freilich ein Kinderspiel gegen den Wirrwarr zusammen- gestürzter Senecio-Bäume, durch das ich am Muhawura-Vulkan gekrochen war. Schließlich hatte aber der Himmel ein Ein- sehen. Nach dem Tage des zweiten Versuches bekamen wir herrliches Wetter, und ich wollte am Sonntag, den 16., den Ausstieg wenigstens bis zu der bisher hier von Europäern erreichten Höhe durchführen. Da sich unsere Leute wenig bergtüchtig gezeigt hatten, sollten drei wilde Ein- geborene, darunter auch der Führer vom vorigen Male, die notwendigsten Sachen tragen. Ich wollte um 5 Uhr abmarschieren, mußte aber noch auf diese drei Getreuen warten und sah inzwischen über der Semliki-Ebene den Mond bewundernd untergehen. Als ein erstes leises Rot den öst- lichen Himmel färbte, brachen wir auf in einen klaren kalten Morgen, der einen guten Tag ver- sprach. Ohne Aufenthalt ging es empor bis zu dem zwei Tage früher erreichten Rinnsal an der unteren Senecio-Grenze. Auf dem ganzen Wege grüßten lockend und leuchtend weiße Schnee- häupter über die tieferen Kämme herab; immer majestätischer wuchsen sie empor, während im Rücken die stolzen Wawunga-Berge zu Hügeln zusammensanken. An dem Bächlein wurde kurze Rast gemacht, und es war hier auf einem um- geschlagenen, mit einem dichten Pelz trockener Blätter bedeckten Senecio-Stamm in der warmen Sonne gut weilen, trotzdem ihre Strahlen das Eis, zu dem das Wasser über Nacht in den Moospolstern erstarrt war, noch nicht überall ge- schmolzen hatten. JIch sah hier, daß die Hauptarbeit getan und ich dem Ziel schon nahe genug gewesen war. Es ging in sanfter Steigung empor zu dem breiten, fast plateauartig flachen Ulimbi auf einem Teppich von Moos und niedrigen silber- grauen Alchemillen durch sehr lichte Senecio- Bestände, in die sich Schaftlobelien von 3 bis 5m Höhe und meterhohe, sehr breite und dichte Helichrysum-Büsche mit gelblichweißen glänzenden Strohblumen-Köpfen mischen; ein angenehmer Spaziergang nach der Kletterei durch die Erikazeen. Dann aber stockt Fuß und Atem: Jäh stürzt der Fels hinab in die Tiefe, in der schwarz und düster ein langgestreckter Bergsee ruht, darüber dehnt sich ungeheuer der Raum, und drüben steigt es empor: gewaltige Wände, wild zerrissene schwarze Felszacken, zwischen denen bläulich schimmernde Gletscherzungen niederziehen, und über diesem Chaos in erhabener Ruhe das weiße Königshaupt, leuchtend im Firnglanz. So zeigte sich das Hochgebirge in seiner weißen Herrlichkeit, doch war es nicht vergönnt, bis zu ihrem Fuße vorzudringen. Man hätte schon an dem Bach am Ulimbi ein Lager auf- schlagen müssen, und dann wäre noch ein schwieriger und nur bei gutem Wetter ausführ- barer Umgehungsmarsch um den Nordrand des kolossalen Einbruches notwendig gewesen. Das hätte aber unter günstigen Umständen noch vier Tage gekostet und wäre eine große Strapaze für die Träger geworden. So verzichtete ich denn und suchte noch die Namen derer, die vorher oben gewesen waren. Die „Chupa“ war bald gefunden, leider mußte ich den Hals abschlagen, um die Zettel lesen zu können (Schrift nach innen und großes Formatl). Da fand ich denn die Namen eines belgischen Offiziers und Unter- offiziers, von denen ich bereits wußte; außerdem aber eines englischen Herrn von der anglo- belgischen Grenzkommission, der fast genau vor zwei Monaten hier oben gewesen war. Jetzt wurde mir auch klar, weshalb die beiden Lager- stellen auf dem Kamm noch so frisch ausgesehen hatten. Einen Namen aber fand ich nicht mehr, den Franz Stuhlmanns, des unermüdlichen Sammlers und Forschers, der auf der Emin- Pascha-Expedition vor siebzehn Jahren als erster hier gestanden hatte, und auf dessen Route auch wir aufgestiegen sind. Ich schoß noch ein paar der prächtigen Nektarina Johnstonii, die ich schon am Sabyino und Muhawura an den großen Schaftlobelien gesehen hatte, und stieg dann zum Lager ab, wo ich hochbefriedigt und mit guter botanischer Ausbeute nach Sonnenuntergang ein- traf. Das Resultat meiner Schilderung war, daß Kollege Schubotz sich am nächsten Tage auf die Beine machte, besonders auch, um das großartige Hochgebirgsbild auf der photographischen Platte festzuhalten. Auch mußte er eine neue Flasche für das „Fremdenbuch“ mitnehmen. Wir lagerten nachher noch zwei Tage in dem Wald der Vorberge mit den Baumfarnen in den Bachschluchten zur Vervollständigung unserer Sammlungen und marschierten dann nach Beni. Hier trennten wir uns; Dr. Schubotz ging über Mboga an den Albert-See, ich zog den Wald vor und marschierte nach Irumu."“