W 673 20 lichen überhaupt nicht mehr auf unsere Anrufe zu antworten vermochten. Es blieb uns somit nichts anderes übrig, als sie bis zum nächsten Morgen ihrem Schicksal zu überlassen. Völlig durchnäßt, ohne Zelt, die vor Er- regung und Kälte zitternden Glieder nur in eine Decke gehüllt und eng aneinander geschmiegt — so verbrachten wir eine schlaflose Nacht am Lagerfeuer, um bei Morgengrauen (es war wie zum Hohne ein prächtiger, sonniger Morgen!) gleich wieder an die Bergungsarbeit zu gehen. Ich sage Bergungsarbeit — nicht Rettungs- arbeit! Denn, was es nach dieser Nacht noch zu retten gab, war herzzerreißend wenig. Nur einige wenige der Unglücklichen zeigten noch eine Spur von Leben; sie konnten gerettet werden. Die anderen alle — zwanzig an der Zahl, d. h. nahezu die Hälfte meiner gesamten Ka- rawane — lagen als Leichen im Schnee, die Finger tief in den sumpfigen Boden einge- graben, die Gesichter im Todeskampfe gräßlich verzerrt. Ein furchtbarer Anblick für uns andere, die wir zu ihrer Rettung zu spät kamen! Die Lasten mußten liegen bleiben, darunter das gesamte photographische Material und meine wissenschaftlichen Sammlungen. Wer sollte sie schleppen? Wir selber waren ja halbe Leichen. Später haben sie dann die Träger geholt. Ich selbst konnte mich an dieser Arbeit nicht mehr beteiligen. Ein schweres Fieber hielt mich ans Bett gefesselt.“ r— r— Dieser bedauerliche Vorfall gibt ein krasses Beispiel für den Fatalismus und die hierdurch erzeugte Energielosigkeit des Negers in Situa- dionen und Gefahren, in denen er den Ausgang nicht übersieht oder wo ihn nur schnelles Erfassen der Situation und besonnenes eigenes Handeln renen können. „Amri yo mungu"“ (Gottes Fü- gung) ist dann die Parole, die ihn jeder Üüber- redungskunst und jedem Versuche, ihn aus seiner Lethargie aufzuwecken, trotzen läßt. „Amri yo mungu“, es ist göttlicher Wille, daß wir sterben sollen, also sterben wir. Der Laie könnte dies für fromme Regung oder Unterwerfung unter göttlichen Willen halten; dem ist aber durchaus nicht so. Die angewandte Formel ist lediglich eine von Jugend auf gehörte und von Urväter- zeit überkommene Redensart, in die sich der Stumpffinn des Negers in ähnlichen Fällen wie dem oben genannten kleidet, wo nur eigene Initiative helfen kann. Daß dieser Stumpfsinn durch sachgemäße Behandlung, unter der ich Ge- rechtigkeit gepaart mit Strenge verstehe, sehr wohl überwunden werden kann, zeigt das mustergültige energische Vorgehen der beiden Askari, von denen ich — das trifft auf die Mehrzahl der Askari zu, die uns fast ein Jahr begleiteten — manch schönen Zug von Besonnenheit und mutvollem Vorgehen in der Gefahr erzählen könnte. Ich sandte Kirschstein sofort einen Brief über Mowambi nach Beni, um ihn zu veranlassen, von dort auf direktem Wege zu uns zu stoßen. # Doch zurück zu unserer Route. Eine für Urwaldverhältnisse gut gehaltene Straße führt von Etappe zu Etappe, wie sie über die ganze Länge des Weges von Irumu nach Stanleyville in wechselnden Abständen von 15 bis 29 km angelegt sind. Eine endlose Menge mehr oder minder zusammengebrochener Brückengebilde, die die Passage über Flußläufe und sumpfige Stellen erleichtern sollen, zwingen den nervös werdenden Reiter, sein Maultier immer wieder zu verlassen und ebenso oft zu besteigen, da ein sicheres Passieren für die Tiere meist nur neben den Brückenstegen möglich ist oder ein umgestürzter Baumriese den Weg ver- sperrt. In allen Etappen wohnen sogen. Arabisés, von den Leuten Munguana genannt, von Arabern „trainierte"“, vielfach aus Mangana oder von der Ostküste stammende Leute, die noch mit Arabern oder Indern jenseit der Grenze in mehr oder minder inoffizieller „Beziehung“ stehen, d. h. auf kaum sichtbaren Pfaden manchen Elfenbeinzahn und manche Last Kautschuk über die Grenze gehen heißen, ohne daß es der Regierung bei der ungeheuren Ausdehnung des Waldes möglich ist, diesem Schmuggel wirksam zu steuern. Offiziell liegt ihnen die Proviantausgabe bei durchziehen- den Karawanen und die Leutegestellung für den Karawanenverkehr von Irumu zum Kongo und zurück ob. Infolgedessen find bei allen Etappen Bananenpflanzungen angelegt, die zur Ernährung dienen und ständig vergrößert werden. Die all- abendlich austretenden Elefanten stiften hier großen Schaden, so daß der Chef der Etappe gezwungen ist, jede Nacht durch eine Wache die Dickhäuter mit lautem Geschrei verscheuchen zu lassen. Der Reichtum an diesen Tieren muß ganz ungeheuer sein und ist bei einem Territorium von der vielfachen Größe des Deutschen Reiches wohl nach Hunderttausenden zu schätzen. Der Wald steckt auch voll der Pygmäêen, der diebischen kleinen Mombutti, die den Mun- guana viel zu schaffen machen und sich mit einer Dreistigkeit sondergleichen ihrer Reisvorräte be- mächtigen. Mörderische lberfälle wie früher sind neuerdings nicht mehr vorgekommen. In Songola gelang es uns nach längerem Schauri, ein weiteres Okapi-Fell zu erhalten, dessen Träger ebenfalls von den Mombutti erlegt wurde. Die Ausdrücke für diese große Antilope