W 960 20 unter Hilfe und Mitwirkung der Eingeborenen gehoben und ausgebeutet werden können. In diese zweite Kategorie fällt, soviel ich weiß, der Kongostaat, den ich nicht kenne, und von dem ich nur mit Vorbehalt sprechen kann. Beide Arten der Kolonisation haben ihre Schwierigkeiten, aber man kann sie überwinden, besonders, wenn eine Kolonie ausschließlich unter die eine oder die andere Kategorie fällt. Falls dagegen eine Kolonie beide Elemente in sich umschließt, so ist das Problem fast unlöslich. Unter der Annahme nun, daß der Kongo eine Kolonie ist, in der Europäer nicht dauernd leben und sich niederlassen können, in der man vielmehr bei der Exploitierung der natürlichen Reichtümer des Landes auf die Arbeit der Ein- geborenen — und zwar unter der Leitung und Aufsicht von Europäern — angewiesen ist, wird der Erfolg oder der Mißerfolg der Koloni- sation des Kongostaates durch Belgien bestimmt durch den Wert seines kolonialen Verwal- tungspersonals. Dieses Personal muß mit der größten Sorgfalt ausgewählt werden. Die vom Mutterlande regierten Exploitations- kolonien verlangen mit ganz besonderen Eigen- schaften ausgestattete Verwaltungsbeamte. Sie verlangen Männer, denen es durch ihre Geburt, ihre Erziehung, ihre persönliche und Familien- lage im gewissen Sinne angeboren ist, ihre Au- torität über Niedergestellte auszuüben — Männer, die die Fähigkeit besitzen, in ruhiger und mil- der, aber dabei unerschütterlicher Weise den ihrer Autorität, aber auch ihrer vollen Sym- pathie Unterstellten Befehle zu erteilen. Söhne von Großgrundbesitzern, die gewohnt sind, zahl- reichen Angestellten zu befehlen, deren Gehorsam ohne Unterwürfigkeit ist und mit Wahrung der Würde sich vereinigt, geben gute koloniale Ver- waltungsbeamte ab. Dank vielleicht gewissen Rasseeigenschaften, dank seiner sozialen Organisation, dank der Art und Weise, in der man in diesem Lande gewisse Sports, wie z. B. die Jagd und das Reiten pflegt, dank dem Unternehmungsgeiste seiner Ju- gend hat England stets das Glück gehabt, sein koloniales Verwaltungspersonal, soviel es auch nötig hatte, aus sich rekrutieren zu können. Zweifellos kommt dieses Personal nicht vollständig, nicht einmal der größere Teil, aus den reichen Klassen und aus der Grundbesitzerklasse, aber zu einem starken Prozentsatz gehört es doch diesen Klassen an, und dieser Prozentsatz und sein Ein- fluß hebt zu einem großen Maße das allgemeine Niveau. Der Schüler der „Publie Schools“ ist es, der mit seinen Traditionen von Ehre, von Mut und Selbstvertrauen, seinem Respekt vor der Autorität und seiner Gabe, Antorität auszuüben, die Kraft unserer indischen und kolonialen Ver- waltung bildet. Häufig ist er aus bescheidenen und wenig begüterten Verhältnissen hervorge- gangen, aber er hat den Ton und die Tradition jener sozialen Schichten, unter denen der ritter- liche Geist noch lebendig ist. Unter diesen Leuten mit guter Erziehung muß man also die kolonialen Beamten auswählen; denn bei ihnen findet man jene Prinzipien der Ehre, der Würde, der Selbstachtung und der Achtung anderer, die ein koloniales Verwal- tungspersonal nicht entbehren darf. Es kann nicht oft genug hervorgehoben werden, daß der wahre koloniale Beamte es verstehen muß, sich Respekt zu verschaffen, ohne zu brüsken oder brutalen Mitteln zu greifen. Die Eingeborenen sind wie Kinder. Sie mühssen regiert werden, aber derjenige, der es nur versteht, durch fortgesetzte rohe Behandlung unter ihnen Ordnung zu halten, der ist kein ge- eigneter Mann, den man mit ihnen in Be- rührung bringen darf. Die Eingeborenen find gewohnt, regiert zu werden, und sie haben es auch gern. Sie nehmen eine Strafe ruhig hin, wenn sie einsehen, aus welchen Gründen ihnen die Strafe auferlegt worden ist, aber willkürliche, schlechte Behandlung macht sie absolut unregierbar. Die besten Leiter der Eingebo- renen, die ich kennen gelernt habe, hatten es niemals oder doch fast niemals nötig, zur Strenge zu greifen, und wenn sie es doch taten, so taten sie es aus guten und wahren Grün- den, die auch das Gehirn des Eingeborenen ein- sieht. In der kolonialen Verwaltung ist die Persönlichkeit der Verwaltungsbeamten von un- endlich größerer Bedeutung, als das System und alle Verordnungen. Woher es kommt, daß der eine Verwaltungsbeamte sich bei den Eingeborenen, wie bei Kindern, ohne Mühe Respekt verschafft, während es dem anderen auch nicht durch Prügel gelingt, das weiß ich nicht zu sagen. Aber es gibt Leute dieser beiden Kategorien, und ich be- haupte, daß, wenn in irgendeiner Gegend es, um die Eingeborenen zu regieren, stets nötig ist, zu strengen, wenn nicht zu sagen barbarischen Stra- fen zu greifen, so ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, daß die Verwaltungsbeamten nicht die nötigen Eigenschaften haben, daß es schlechte Bureaukraten sind, die sich bemühen, durch Heftigkeit die ihnen abgehende persfön- liche Autorität zu ersetzen. Hat man geeignetes Personal gefunden, so muß man es auch gut bezahlen und ihm lange Urlaubszeiten geben, damit es sich periodisch in der heimischen Atmosphäre physisch und moralisch mit neuer Tatkraft ausrüsten kann. Der junge Engländer, der in die Kolonien geht, der den