W 23 20 jeder Mensch zwei „Vermeidungen“ ererbte, die eine vom Vater, die andere von der Mutter, derart, daß ein Mann die vom Vater ererbte „Vermeidung“ seinem Sohn weiter vererbe, die von der Mutter ererbte nur persönlich respektiere; daß eine Frau die von der Mutter ererbte „Ver- meidung“ ihrer Tochter weitervererbe, die vom Vater ererbte nur persönlich respektiere. In allen drei Fällen, der Vaterfolge, der Mutterfolge und der Doppelfolge, halten sich alle, die dieselbe „Vermeidung“ haben, für nahe bluts- verwandt und bezeichnen diese Art der Abstammung mit einem besonderen Wort, das im Saramo „mulyango“, im Urundi „muryango“, im Hehe „mulongo“, im Bena „mulumbo“ heißt, während das weit verbreitete Wort „ukoo, lukolo“ mehr „Landsmannschaft“ als „Verwandtschaft“ zu be- deuten scheint. Nach der oben angegebenen Definition kann man statt „Vermeidung"“ den Terminus technicus „Totem“ setzen, und ebenso mit „Clan" die eben besprochene Art der Verwandtschaft bezeichnen, welche dasselbe Totem führt. Ein anderes Thema, über das sich in der Literatur nur wenig findet !) und dessen Bedeutung den Europäern in Deutsch-Ostafrika meist gänzlich fremd ist, bildet die Nomenklatur der Ver- wandtschaft. Daß die Eingeborenen andere Begriffe davon haben als wir, ist aus den Beispielen der Swaheli- sprache „mama mdogo“, „kleine Mutter“", für die Tante als Schwester der Mutter und „ndugu“ nicht nur für den leiblichen Bruder, sondern auch für einen anscheinend Fremden bekannt; ein Neger würde noch auf dem Mars einen „ndugu“ finden, hat Kandt im „Caput Nili“ scherzhaft behauptet. Die Verschiedenheiten der Nomenklatur gehen aber noch viel weiter. Im Swaheli „ndugu“, in vielen Sprachen des Inneren „mwanakwetu“ (wörtlich „Kind zu uns gehörig"“) heißt nur der Bruder eines Mannes und die Schwester einer Frau; Bruder einer Frau und Schwester eines Mannes werden im Swaheli vumbu“", sonst meist „lumbu“ genannt. Mit an- deren Worten: „ndugu, mwanakwetu“ heißen Geschwister gleichen Geschlechts, „umbu, lumbu“ heißen Geschwister anderen Geschlechts. Diese Auffassung kann man zum Ausgangspunkt der Betrachtung wählen, um auch die folgenden Be- nennungen verständlich zu machen. 1) Einzelne Bezeichnungen, richtig übersetzt, finden sich wohl in allen Grammatiken und Wörterbüchern der Bantusprachen. Vollständige Nomenklaturen aber habe ich nur bei Domet: Die Suahelisprache. Jerusalem 1898, und bei Schumann: Die Kondesprache. Mitt. des orient. Sem. VI 1899, III, p. 65, gelesen und von Herren der Berliner Mission I für Bena gehört. Mit einer gewissen Logik wird nun neben dem obaba“ (Swaheli, wie alle folgenden Nomenkla- turen) „Vater“ auch sein Geschwister gleichen Ge- schlechts, also sein Bruder „baba mdoge“ „kleiner Vater“ genannt, aber für sein Geschwister anderen Geschlechts, für seine Schwester, ein neues Wort „Shengazi“ gebraucht. Ebenso ist die Schwester der Mutter „mama mdogeo“ „kleine Mutter", ihr Bruder aber „myomba“. Wir aber mühssen so- wohl den „baba mdogo“ wie den „myomba“ mit Onkel und die „nama mdogo“ wie die „shengazi“ mit Tante übersetzen. Es ist nur konsequent, wenn die Kinder der „kleinen Väter"“ und der „kleinen Mütter“ als Geschwister aufgefaßt werden und bei gleichem Geschlecht „andugu“, bei verschiedenem „umbu“ heißen, daß dagegen das neue Wort „mtani“ „Better“ nur für die Kinder des „myomba" und der „shengazi“ Anwendung finden. In derselben Konsequenz gelten dann auch die Kinder eines Geschwisters gleichen Geschlechts als eigene „wa- toto“, aber die Kinder eines Geschwisters anderen Geschlechts als „wapwa“ „Neffen“. Die anderen Bezeichnungen der Swaheli weisen im allgemeinen dieselben Begriffe auf, wie wir sie haben: „wakun"“ „die Ahnen", „wajukun"“ „die Enkel“, „watowe“ „die Schwieger“ (-Eltern und Kinder), „wamu“ oder aus dem arabischen „Shemegi“ die „Schwäger"“ (und Schwägerinnen). Nur „kaka“ „älterer Bruder", „dada“ „ältere Schwester“, „wifi“, „wivi“ Schwägerin als Frauen von zwei Brüdern kommen hinzu. Die anderen Bantuvölker Deutsch-Ostafrikas haben ähnliche Nomenklaturen, wenn auch mit manchen Abweichungen. So fehlt bei den Saramo ein Wort, das dem Swaheli „shengazi“ „Tante“ entspräche, es wird durch „dumbu dja tata"“ „Geschwister anderen Geschlechts des Vaters“ um- schrieben. Auch gilt ihr Wort „sekulu“ „Ahn“ nur für den Vater der Mutter und für die Mutter des Vaters, die beiden andern Großeltern werden mit „tata ja tata“ Vatersvater und „mama ja mama“ Muttersmutter umschrieben. Im Nyam- wezi und Sukuma werden Schwiegereltern und -kinder genau differenziert; im Hehe wird neben dem neuen Wort für Vetter „muhitsi“, der sonst gebräuchliche Stamm als „utani“ in der Bedeu- tung „Doppelverschwägerung“ gebraucht, die da- durch entsteht, daß ein Bruder und eine Schwester sich mit einem anderen Paar von Schwester und Bruder verheiraten, usw. In allen Sprachen von ostafrikanischen Bantus,1) die ich darauf habe untersuchen können, scheint ein System der Verwandtschaftsnomenklatur zu 1) Andere afrikanische Bantuvölker haben andere Systeme, wie aus Kohlers Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft zu ersehen, z. B. die Baronga. (Bd. XIV. 1900. S. 456.)