W 397 20 Weiber-, Kinder= und Viehraub bilden die Hauptstreitfragen und sind bei den noch nicht mit den Weißen in Berührung gekommenen Stämmen an der Tagesordnung. Viehdiebstähle sind am häufigsten. Man kann irgend einen Heiden fragen, ob ihm schon einmal ein Stück Vieh gestohlen worden sei, und man wird stets eine bejahende Antwort erhalten. Bei den dem Posten zunächst gelegenen Stämmen haben die Diebstähle er- freulicherweise schon sehr nachgelassen. Trotzdem werden mehrere Tage in der Woche von früh bis spät damit verbracht, daß Klagen über der- artige Diebstähle angehört und geprüft werden müssen. Mehrere Patrouillen sind im Monat notwendig, um alle derartigen Angelegenheiten zu erledigen. Weiber= und Kinder= (Mädchen-) Raub ist gleichfalls nicht selten. Eine für uns immerhin etwas eigentümliche, dagegen der Auffassung des Küstenbuschbewohners sehr verwandte Rechts- anschauung möchte ich an dieser Stelle erwähnen: Ein Heide kauft ein Weib von dessen Vater für zwölf Kühe. Stirbt das Weib, bevor es ein Kind zur Welt gebracht hat, dann muß der Vater des Weibes die Kühe an den Käufer zurückgeben. Wird ein Knabe geboren, dann muß der Vater des Weibes die Hälfte des Kaufpreises, also in diesem Falle sechs Kühe, an den Käufer zurück- erstatten. Erst wenn das Weib ein Mädchen zur Welt bringt, ist für den Heiden das Geschäft richtig, weil er sich sagt, daß er nun später durch den Verkauf seiner Tochter auch wieder zu zwölf Kühen kommt. Man sieht hieraus, daß ganz ähnlich wie bei den Stämmen des Küstenbusches, auch für den Heiden das Weib nur eine Handelsware ist. Eine große Liebe zu seinem Weibe kennt er nicht. Ein anderes Beispiel: Dem Heiden wird das für zwölf Kühe gekaufte Weib gestohlen und der Dieb verkauft es weiter, so daß es für den Bestohlenen nicht wiederzuerlangen ist. Er wendet sich nun- mehr an den Dieb und verlangt von ihm nur zwölf Kühe, also den Kaufpreis für das Weib. Geht der Dieb darauf ein, so ist die Angelegen- heit damit erledigt. Weigert er sich jedoch, die Kühe zu bezahlen, dann ist der Bestohlene be- rechtigt, dem Dieb bei irgend einer passenden Ge- legenheit die doppelte Anzahl Kühe zu entwenden. Das ist nach Ansicht der Häuptlinge und Großen beider Parteien vollkommen in der Ordnung und der zuletzt Bestohlene muß sich damit zu- frieden geben. Der Weiße muß derartigen, bei den Heiden seit Generationen tief eingewurzelten Rechts- anschauungen zunächst Rechnung tragen. Er würde mit einer anderen Anschauung die Leute direkt vor den Kopf stoßen, jedenfalls aber gar nicht von ihnen verstanden werden. r—G mG Nach und nach bekehren sich einzelne Heiden der an die Fullah-Lamidate angrenzenden Stämme zum Mohammedanismus. Die Bekehrung besteht jedoch in den meisten Fällen nur darin, daß der Heide sich für eine Menge Kühe ein weites Fullah- Gewand und einen Rosenkranz ersteht. Gebet- übungen habe ich diese bekehrten Heiden nie machen sehen. Eine dumpfe Vorstellung von einem über- irdischen Wesen ist — ebenso wie wohl bei allen Naturvölkern — auch bei diesen Heiden vor- handen. Irgendwelchen Götzendienst oder Fetisch — wie bei den Völkern Süd-Kameruns — habe ich hier nirgendwo feststellen können. Die Bana= und Muszug-Heiden erinnern äußerlich sehr an die Jaundes oder Banes in Süd-Kamerun. Sie sind ebenso wie jene von hoher, schlanker, herrlicher Gestalt, mit breiter Brust und muskulösen Gliedern. Ihr Charakter unterscheidet sich jedoch sehr von dem der Urwald- bewohner. Während letztere zum großen Teil als hinterlistig und verschlagen, als Heuchler und Betrüger bezeichnet werden müssen, kann man bei den Heiden von einem offenen und ehrlichen Charakter sprechen. Selten versucht der Heide vor Gericht zu lügen. Hat er jemand totgeschlagen, so bekennt er offen und ehrlich: „Ja, ich habe den Mann totgeschlagen, weil er mir ein Huhn stehlen wollte." Hat der Heide erst gesehen, daß der Weiße ihm nur helfen und ihn nicht — wie es früher die angrenzenden Fullahs und Bagirmis taten — zum Sklaven machen will, dann faßt er bald ein festes Vertrauen, und es ist dann eine Freude, mit diesen Leuten zu arbeiten. Bei diesen Eingeborenen ist ein gutes Wort häufig sehr am Platze. Während man in Süd-Kamerun die Einge- borenen meist nur durch eiserne, wenn auch ge- rechte Strenge im Zaume halten kann, erreicht man bei diesen Heiden sehr oft viel durch Güte, Zureden und Geduld. Ich habe während der ganzen Zeit in Bongor keine einzige Prügelstrafe bei den Heiden anzuwenden nötig gehabt, wäh- rend man doch im Süden des Schutzgebiets kaum ohne diese Strafe auskommen kann. Diese Strafe ist auch deshalb bei den Bongor-Heiden so wenig angebracht, weil die Leute tatsächlich viel Ehr- gefühl besitzen und weil sie die Prügelstrafe als demütigend und entwürdigend auffassen würden. r—G 4 Über eine mögliche Wasserverbindung zwischen dem Atlantischen Ozean und dem