W 468 20 scheinung steht das persönliche Verhalten der Samoaner im Verkehr untereinander, wie mit den Fremden. Die Tugend der Gastfreundschaft ist besonders eutwickelt; sie geht so weit, daß nicht selten Samoaner sich in Schulden stürzen, um ihre Gäste würdig zu bewirten. Nicht nur, daß die- Eingeboren#e sich ünkereinander bewirten — die Sitte, daß größere Reisegesellschaften zu wochenlangem Besuch ihre Freunde und Verwandten überfielen, hat bisweilen zu direkten wirtschaftlichen Schädigungen der Beglückten geführt —, sondern auch dem weißen Manne wird in liebenswürdiger Weise Gastfreundschaft gewährt. Hierbei wie überhaupt bei allen Vorgängen, bei denen der samoanische Häuptling oder auch nur das einzelne Familienhaupt in die Erscheinung tritt, wird ein gewisses Zeremoniell inne- gehalten. Höfliche Begrüßungen und Becher des landesüblichen Getränkes, der Kawa, werden gewechselt und bei allen nur denkbaren Anlässen blumenreiche Reden gehalten. Die materielle Kultur der Samoaner steht allerdings nicht auf einer diesen höflichen Formen entsprechenden Höhe. Zwar wohnt der Eingeborene in verhältnismäßig gut gebauten Hütten, doch beschränkt sich sein Hausrat meist nur auf wenige Gefäße und Werkzeuge. Beim Verzehren der Speisen werden, wie zu Vorväter-geiten, lediglich die Finger benutzt. Diese geringe materielle Entwicklung der Samoaner beruht wohl zum Teil darauf, daß die Natur ihm in ver- schwenderischer Fülle das gibt, was er zur Befriedigung seiner geringen Bedürfnisse benötigt. Ein paar Kokos- nüsse, Bananen und Taro, die er sich mit Aufwendung geringer Arbeit verschaffen kann, sind für ihn genügend. Fische bietet das Meer in reicher Fülle; zudem werden Schweine und Hühner von den meisten Samoanern gehalten. Zum Teil ist die Ursache der wirtschaftlichen Rückständigkeit aber wohl der Kommunismus, der überall herrscht. Alles, was er besitzt oder erwirbt, vom Hüfttuch, das er als Kleidung trägt, bis zu dem Geld, welches er durch Arbeit bei den weißen Pflanzern verdient, ist der Samoaner durch die ungeschriebenen Gesetze seines Landes gezwungen, mit seiner Familie und seinen Freunden zu teilen. Warum sollte ein Mann sich durch Tage, Wochen und Monate abquälen, wenn schließlich die Arbeit ihm selbst keinen besonderen Vorteil bringt, und die anderen, die nichts getan haben, ebenso die Früchte seiner Tätigkeit genießen! Er zieht es vor, sich nicht zu überanstrengen und sich lieber dem dolce far niente hinzugeben. Doch in einer Beziehung sind die Samoaner weit vorgeschritten; die Rhetorik ist bei ihnen zu einer hohen Kunst entwickelt. Der samoanische „Sprecher“ kann bei dem geringsten Anlaß aus dem Stegreif eine Rede halten, welche manchen geübten Parlamemts- redner beschämen würde. Diese Sprecher (Tulafale) haben oft einen bedeutenden Einfluß auf den Distrikt, dem sie angehören, und darüber hinaus. Doch auch abgesehen von den berufsmäßigen Sprechern ist die Kunst der Reden weit verbreitet; der Sohn lernt sie vom Vater, selbst junge Mädchen sind nicht in Verlegen- heit, wenn es sich darum handelt, bei gegebenem Anlaß eine wohlgesetzte Rede von sich zu geben. Lange und phrasenreiche Reden werden bei Versammlungen, Be- suchen usw. gehalten, ja man kann sagen, daß das Redenhalten und -zanhören zu den im Lande der Samoaner wichtigsten Dingen gehört. Bei dieser Rolle, die dem Redenhalten zufällt, kann es nicht wunder- nehmen, daß ein bedeutender Redner einen solchen Einfluß im Lande gewinnt, wie der Sprecher Lauaki von der Insel Sawaii, welcher die gegenwärtig viel besprochenen Unruhen in Samoa hervorgerufen hat. Trotz aller persönlichen Anmut und Liebens- würdigkeit der Samoaner sind die paradiesischen Eilande bis zu dem Zeitpunkte, an welchem die deutsche Flagge über Samoa gehißt wurde, niemals zur Ruhe gekommen. Erst wir haben ihnen in den verflossenen zehn Jahren den Frieden ge- geben, den sie früher nicht gekannt haben. So fähig der Samoaner ist, Reden zu halten, ebenso unfähig ist er, zu organisieren oder sich zu staatlichen Verbänden zusammenzuschließen. Die ganze samoanische Geschichte, soweit sie überhaupt rückwärts verfolgt werden kann, bietet das Bild beständiger Wirrnisse und Kämpfe. Allerdings sind die Kämpfe, von denen wir bistorisch genau unterrichtet sind, fast nie sehr blutig gewesen. Die Vorverhandlungen, die Vorbereitungen zum Kampf, die Reden vor und nach der Schlacht, scheinen stets einen breiteren Raum eingenommen und mehr Energie verbraucht zu haben, als die Kämpfe selbst. Seine Fähigkeit und Ausbildung im Reden stellt wohl eine Art Sicherheitsventil für den Samoaner dar, welches verhindert, daß sein Betätigungsdrang zu häufig einen gefährlichen Ausweg sich sucht. Doch wenn auch die Zahl der Toten, denen nach altem Brauch von den Siegern die Köpse abgeschnitten wurden, meist nicht groß war, und die Parteien sich oft wochen-, selbst monatelang verschangt gegenüber lagen, ohne daß es zu Kämpfen kam, so hat doch niemals danernder Friede auf den Inseln geherrscht. In jedem einzelnen Dorfe gab es Streitigkeiten innerhalb der Familien um die Stellung und den Titel als Familienhaupt, mit welchem u. a. das Recht der Verfügung über den Landbesitz der Familie verbunden ist. Jeder Familienzweig hat regel- mäßig seine eigene Darstellung der Familiengeschichte und des Familienstammbaumes, nach der seine Rechte begründet sind. Es gilt nach samoanischer Sitte ge- radezu als Verbrechen, den Stammbaum anderer Fa- milien öffentlich zu erörtern, da sich daraus stets Streitigkeiten ergeben. Ferner gab es Streit um die höheren Würden und Titel, welche nach Herkommen von bestimmten Gemeinschaften von Häuptlingen oder Sprechern verliehen werden konnten, und für welche der Beliehene seinerseito das hochgeschänte Gut der Samoaner, „feine Matten“, zu zahlen hatte. Endlich aber waren stets mehrere Prätendenten auf die vier höchsten Titel vorhanden, welche von bestimmten Vor- orten der Hauptdistrikte übertragen wurden und zu- sammen die höchsten Würden in Samoa, die des Tupu, des sogenannten Königs, begründeten. Da nirgends feste, anerkannte Gesetze bestanden, überall nur münd- liche Uberlieferung vorbanden war, und es vor allem an einer starken ausführenden Gewalt fehlte, so kann man sich vorstellen, in welchem Zustand beständigen Unfriedens sich das Land immer befunden hat. Eine Partei, die sich in der Minorität befand, mochte es sich nun um einen kleineren Zwist im Dorfe oder um einen größeren im Distrikt handeln, verhielt sich vielleicht, der Gewalt weichend, eine Weile ruhig, um jedoch so- fort wieder mit ihren Ansprüchen hervorzutreten, so- bald die Verhältnisse dies zulietßen. Die Anerkennung eines Majoritätsbeschlusses als für die Minorität bindend entspricht nicht der samoanischen Denkweise. Die samoanischen Vororte oder genauer die Ge- meinschaften der nach altem Herkommen berechtigten Häuptlinge und Sprecher in bestimmten Dörfern, die Tumua und Pule, stellten die höchste Macht in Samoa dar. Doch leider waren die Tumua und Pule niemals einig. So hörten zank und Streit in Samoa niemals auf. Um die höchsten Titel konkurrierten regelmäßig zwei oder selbst mehr Abkömmlinge der beiden be- deutendsten Häuptliugsfamilien, der Tupna und Ma- lieton, was durch längere Perioden hindurch zu einem latenten Kriegszustand mit gelegentlichem Ausbruch von Kämpfen führte.