G 590 20 Die Verfasser des Code haben darin das Ein- geborenen-Recht nicht vollkommen in der von den Eingeborenen ausgebildeten Form aufgenommen, sondern, soweit es ihnen erforderlich erschien, Ande- rungen vorgenommen und Zusätze gemacht (pogl. Preamble des Law 19 of 1891). Der Code zeigt demnach die Stellung der Gesetzgebung zum Eingeborenen-Recht einerseits an dem daraus unmittelbar Ubernommenen, anderseits an den Anderungen und Zusätzen. Von diesem Gesichtspunkt aus wollen wir im Anschluß an den Code die wichligsten darin be- handelten Rechtsmaterien untersuchen.) Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, bedarf es einer Quelle für die Kenntnis des Eingeborenen= Rechts in seinen reinen, von jeglicher Anderung seitens fremder Elemente freien Form. Eine Auf- zeichnung des Eingeborenen-Rechts von Natal in solcher Form gibt es nicht, aber der Report gibt manchen Fingerzeig, und außerdem gibt Maclean?) in seinem „Compendium of Kafir Laws and Cu- stoms“ eine Aufzeichnung des Eingeborenen-Rechts. Allerdings behandelt diese Sammlung nur die Ein- geborenen Britisch Kaffrarias, d. h. des Landes zwischen dem Great Fish River und dem Umtata, aber es herrscht zwischen den Rechtsinstituten der Stämme gleicher Rasse naturgemäß an sich eine gewisse Ahnlichkeit, und außerdem besteht die Ein- geborenen -Bevölkerung Natals (ohne Zululand) im wesentlichen aus Kaffern, die aus dem Süden eingewandert sind.3) Es ist somit die Verwandt- schaft zwischen den Eingeborenen Natals und denen Britisch Kaffrarias eine besonders nahe. 1. Die Stammesverfassung. Das Verständnis der Stammesverfassung der Eingeborenen ist die Grundlage für das weitere Verständnis des Rechtslebens der Eingeborenen. Was die Stammesverfassung in großen Zügen bietet, spiegelt sich zum Teil im engen Kreise des einzelnen Kraals wieder. Das Stammessystem in seiner reinen Form ist bereits oben in seinen Grundzügen charakterisiert, es gilt jetzt zu untersuchen, welche Gestaltung es durch die Gesetzgebung der Kolonie erfahren hat. Die Stammeshierarchie bei den Kaffern hatte solgende Stufen: Oberhäuptlinge, Häuptlinge, Unter- häuptlinge, Dorfälteste und Kraalsväter. ) Der Codes) kennt einen „Supreme Chief“ oder 1, Dabei wird nicht nur der Code selbst. sondern es werden auch seine Amendemems und andere im Zusammenhange stehende Gesetze berücksichtigt werden. *?) Maclcan war in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Chies Commis#ioner in Britisch- Kaffraria und besorgte das KRompendium im Auftrage des Gouverncurs der Kapkolonic. Es hat also eine gewisse amtliche Antorität. Agl. The Jalives of Somh Africa, 4 Dgl. lihe Jatives of South Africa, 5) Code Scc. 32, P, 10, 13. .15 Z. 15 S. 25. u. 16. Oberhäuptling über sämtliche Eingeborene der Kolonie, ferner Häuptlinge (chieks), die einen ganzen Stamm oder den Teil eines solchen unter sich haben. Sie besitzen ihr Amt entweder erblich unter Anerkennung desselben durch den Oberhäupt- ling oder sind von diesem angestellt. Nach den Häuptlingen kommen im Code die „districthead- men“, sie entsprechen ungefähr den Unterhäupt- lingen und verwalten unter der Kontrolle des Häuptlings einen einzelnen Bezirk des Stammes- territorinms. Eine Erblichkeit dieser Stellung kennt der Code nicht; die Distriktshauptleute werden viel- mehr vom Häuptling ernannt und angestellt. Die letzte Stufe der Hierarchie bilden die „Kraalheads“ (Kraalsväter), sie sind das natürliche Oberhaupt einer in einem oder mehreren Kraals zusammen- gefaßten Familie. Der Code hat die Stellung und Funktionen der Glieder dieser Hierarchie durch eingehende Vor- schriften bestimmt. a. Der Oberhäuptling. Die Würde des Oberhäuptlings ist in Natal dauernd mit der Stellung des Gouverneurs der Kolonie verbunden (Secc. 5 des Code). Der Zweck dieser Anordnung war einmal, der Stellung des Gouverneurs ein dem Eingeborenen verständliches Gewand zu geben und feiner, dem Gonverneur gewisse Verwaltungsbefugnisse, die dem eingeborenen Oberhäuptling zustanden, aber eigent- lich außerhalb der Befugnisse eines Gouverneurs lagen!) in die Hand zu geben. ) Die wichtigsten Befugnisse des Gouverneurs als Oberhäuptling 5) sind folgende: Er kann Häuptlinge einsetzen und Stämme nach den Bedürfnissen besserer Verwaltung zerlegen oder zusammenfassen. Unter Mitwirkung des Executive Council der Kolonie darf er auch Häuptlinge wegen politischer Verbrechen, Unfähigkeit oder aus sonstigen triftigen Gründen absetzen, und sie dann mit ihrer Familie und ihrem Eigentum in einen anderen Teil der Kolonie verpflanzen. Er ist feiner befugt, den Häupilingen und Distriktshauptleuten die Stellung Bewaffneter zum Schutze der Kolonie oder zur Unterdrückung von Aufruhr aufzuerlegen und von allen Eingeborenen die persönliche Leistung solcher Dienste zu verlangen. Ebenso steht es in seiner Macht, Eingeborene zu Dienstleistungen für öffentliche Arbeiten im Interesse der Kolonie auch gegen ihren Willen heranzuziehen. 1) Die Stellung des Gonverneurs erläuert Jenkins S. 99 f. 2) Vgl. Sec. 219 des Reports und Scc. 7 des Law 144 of 1887 „0 uamend ihe untive Administration Law 1875“. 3) Ugl. Code Scc. 32 bid 12.