596 20 befanden sich die meisten Stämme in einem per- manenten Kriegszustande, was die Zahl der Männer sehr dezimierte, zumal die Kriege meist bis zur Vernichtung der Männer des unterliegenden Stammes geführt wurden, während die Frauen als Kriegs- beute geschont und von dem Sieger dem eigenen Stamme eingereiht wurden. Dadurch entstand ein numerisches Mißverhältnis zwischen den Geschlechtern zunngunsten der Männer, was naturgemäß dazu führte, daß ein Mann mehrere Frauen nahm. Da diese Verhältnisse durch viele Generationen hindurch obwalteten, war es natürlich, daß die Polygamie die Grundlage der Entwicklung des ganzen sozialen Systems bildete und mit ihm sich so eng verknüpfte, daß nicht zu erwarten ist, daß sie aufhört, bevor nicht das System selbst ver- schwindet. Es ist jedoch eine sichere Erfahrung, daß die Zahl der polygamischen Ehen im Abnehmen be- griffen ist.!) Der Einfluß der Zivilisation und des Christentums, wie die Erweiterung der Lebens- bedürfnisse, welche die Haltung mehr als eines Hausstandes erschwert, und die Abnahme des Vieh- reichtums, der nötig war, um den Heiratspreis für mehrere Frauen zu bestreiten, wirken alle in dieser Richtung. Vor allem aber ist es das Anwachsen der männ- lichen Bevölkerung infolge dauernden Friedens, welches das numerische Verhältnis zwischen den Ge- schlechtern mehr in das Gleichgewicht bringt und damit bei der Abneigung der Eingeborenen gegen ein Leben als Junggeselle die Möglichkeit poly- gamischer Vereinigungen beschränkt. Solange das numerische Ubergewicht der Frauen aber in erheb- lichem Umfange besteht, muß die Polygamic als eine den Verhältnissen angepaßte und auch gesunde Einrichtung angesehen werden. Denn sic orduet die Beziehungen der Geschlechter zu einander und schützt durch die Anerkennung der Legitimität der Kinder aus polygamischen Ehen und Fixierung ihrer Rechte vor der grenzenlosen Verwirrung, welche die aus- schweifende Neigung der Eingeborenen andernfalls zur Folge haben müßte. Die Polygamie plößlich abschaffen, hieße also eine heilsame Schranke beseitigen, ohne etwas dafür zu schaffen, was die Zügellosigkeit der Eingeborenen in Grenzen hielt. Die Kommission warnt deshalb vor schnellen Eingriffen der Gesetzgebung, bevor nicht die vor- schreitende Zivilisation und veränderte Lebens- verhältnisse die Eingeborenen selbst genügend darauf vorbereitet haben. Anderseits ist aber die Majorität in der Kom- mission der Meinung, daß einer nach = Native Lawe geschlossenen Ehe nicht derselbe Status zugebilligt werden sollte wie einer nach Kolonialrecht ein- 1) Dies wird auch von der Jaliv (ustoms (om- miseion 1883 bestätigt. Bgl. Anmertung 1 S. 29 lhe Natives of Spmh Africa. gegangenen Ehe. Jedoch will sie die Sukzessions-= rechte der Kinder aus CEhen nach „Native Law. anerkannt wissen. Die Vertreter Natals sind dagegen der Meinung, daß, so lange Polygamie überhaupt erlaubt oder wenigstens geduldet wird, die Ehe in der Form des Eingeborenen-Rechts in demselben Maßc wirksam und rechtlich bindend sein sollte, wie Ehen, die nach Kolonialrecht abgeschlossen sind. Diese meines Er- achtens nur folgerichtige Auffassung hat auch der Code zur Nichtung genommen. Die Anerkennung der Polygamie in Natal als einer gesetzlichen Eheform hat im Code ihren greif- barsten Ausdruck in der Ubernahme des Familien- systems, wie es sich in den Kraals der Eingeborenen entwickelt hat, gesunden. Diesem System ist es zu danken, daß die Polygamie für die Eingeborenen ein Element der Ordnung und nicht der Ver- wirrung familienrechtlicher Verhältnisse geworden ist. b. Das Familiensystem des Kraals. Die natürliche Basis dieses Systems ist die Polygamic. Die Zahl der Frauen ist eine sehr verschiedene, je nach dem Reichtum des Mannes. Jede Frau erhält eine besondere Hütte und meist auch Vermögensstücke, namentlich Vieh zur Unter- haltung des Hausstandes zugewiesen. Die Frau und ihre Familie, ihre persönliche Stellung und alle Eigentums= und sonstigen Rechte, deren Entstehung die Ehe zur Folge hat, sowie die Hütte selbst, werden unter dem Begriff des „Hauses“ zusammen- gefaßt.!) Der Code entrollt folgendes Bild von dem Familiensystem eines Kraals unter der Annahme, daß der Kraalvater mehr als drei Frauen hat.7) Ein Kraal kann aus vier Abschnitten bestehen, nämlich dem „Indhlunkulu“ oder Stammhause, dem „Qadi“-Hause (der linken Seite), dem „Kohlo-= Hause (der rechten Seite) )) und den Hütten der Außenseite ohne Familienstatus. Die Bezeichnung der Seite, zu der ein Haus gehört, richtet sich nach der Lage des betreffenden Hauses zu dem Stamm- hause gegenüber dem Eingangstore des Kraals- ringes. Die Frau des Stammhauses, bei den gewöhn- lichen Kafsern die zuerst geheiratete Fraut), hat den höchsten Rang, die Frauen der übrigen Häuser 1) Code Sec. 16. Für das Vorhergebende vgl. lhe Jativres of Souh Atrila S. 28 f., 33: Maclean S. /1. 2) Scc. 108 bid 122. Hat er weniger Frauen, so wird das System soweit beibehalten, als ex nach der Zahl der Frauen möglich ist. Bgl. Maclean S. “1. 3) Anlage von „Kohlo“"-Hänsern findet sich in der Regel nur in den Kraals von Oäuptlingen oder Leuten von besonderer Stellung und Reichtum. Ugl. Code Scc. 112. 4 Die Häuptlinge pflegen die Frau von böchstem Range meist erst in späteren Jahren als die eriten und zweiten Frauen zu nehmen. Agl. Code Scc. 123, 121.