14 ) große Opfer gebracht, um sie zu fördern, und hat sie bis ins kleinste organisiert. Pocken, Pest, Cholera und andere gefürchtete Gäste früherer Zeiten sind schon längst als Volksseuchen von der Bildfläche verschwunden; und wenn sie gelegentlich vor den Toren Deutschlands erscheinen, so sperren ihnen unsere Abwehrvorrichtungen fast mit völ- liger Sicherheit den Eingang. Gegen diejenigen Volkskrankheiten, die wir in unsern deutschen Grenzen noch haben, wie Tuberkulose, Alkoholis= mus u. a., ist der Kampf planmäßig und mit Er- folg ausgenommen. Ganz anders in unsern tro- pischen kolonialen Neuländern. Hier gibt es noch keine glatten Bahnen, in denen der Volkshygie- niker wandeln könnte, und in seinen Mitteln ist er ganz wesentlich beschränkt. 22 Arztstellen (15 für Militär= und 7 für Zivilärzte) hat z. B. Kame- run auf etwa 4 Millionen Bewohner. An peku- niären Hilfsmitteln verfügt es über so viel, wie der Sanitätsetat einer einzigen mittleren Stadt in Deutschland erfordert; und nur ein winziger Bruchteil dieser Summe kann der Bekämpfung von Volkskrankheiten gewidmet werden; alles übrige muß zur Bestreitung der Erfordernisse der Individualhygiene verwandt werden. Gleichwohl ist die Notwendigkeit volksgesundheitlicher Für- sorge nicht etwa geringer als in Deutschland; sie ist viel größer und dringlicher, und ihr Zusammen- hang mit der Volkswirtschaft noch enger. Die Be- rechtigung dieser Behauptung wird am besten er- wiesen, wenn wir uns kurz vergegenwärtigen, welche großen Seuchen zur Zeit in unseren Tropenkolonien herrschen. Natürlich sind es vor allem die Infektionskrankheiten, welche die größte Rolle dabei spielen. Was Größe der Verluste be- trifft, so haben die Pocken die Führung. Es ver- gebt kein Jahr, in dem sie nicht über diesen oder jenen Teil einer Kolonie hinwegzögen und schwere Opfer forderten. Jedem, der längere Zeit im In- lande einer Kolonie tätig oder auf Reisen gewesen ist, wird das traurige Bild für immer in der Er- innerung haften, das sich ihm in Gegenden ge- boten hat, in denen die Pocken wüteten: verödete oder verlassene Dörfer, in einzelnen Hütten viel- leicht noch schwerkranke Männer und Frauen, Greise, Kinder, mit Blattern bedeckt, hilflos um ein qualmendes Feuer gelagert. Und wer es nicht selbst mit ansah, weil er immer nur an der durch all- gemeine Schutzpockenimpfungen bereits gesicherten Küste tätig war, der hat doch wenigstens oft geung davon berichten hören. Mit Vorliebe breiten sie sich aus entlang der großen Handelsstraßen, wo die Verschleppung der Krankheitskeime von einem Orte zum andern durch den regen Verkehr beson- ders begünstigt ist; oder sie treten, wie einst in Europa, auch als Begleiter von Kriegszügen auf. Es ist schwer, genaue Zahlen für die Größe der durch sie verursachten Verluste zu nennen. Der genius epidemicus, die Schwere der einzelnen Seuchen, wechselt in beträchtlichen Grenzen. Aber oft sind die Verheerungen ganz fürchterlich. In Nordtogo erreichte ich einst ein großes Dorf, über das kurz zuvor die Pocken hereingebrochen waren, um es zu impfen. Von 1800 Einwohnern waren über 600 bei meinem Kommen dahingerafft. Durch mühsame Ermittlungen, die ich im Jahre 1904 in der Weise anstellte, daß ich in einem größeren Bezirke Togos (Atakpame) bei einer Reihe von Häuptlingen für die letzten Jahre mög- lichst genau die Zahl der in ihren Dörfern an Pocken Gestorbenen feststellte, kam ich für das kleine Togo mit kaum 1 Million Einwohnern zu der Schätzung eines durchschnittlichen jährlichen Verlustes von 4000 bis 5000 Todesfällen an Pocken. Inzwischen wird gerade in Togo diese Zahl hcchstwahrscheinlich durch ausgedehnte Impfungen ganz bedeutend herabgedrückt worden sein. In Kamerun herrschen sie nicht weniger. Auch hier werden wir fast alljährlich durch die Kunde des Pockenausbruchs in dieser oder jener Landschaft alarmiert. Man kapitalisiere sich diesen Verlust, und man wird eigentlich zu der Über- zeugung kommen müssen, daß eine weitblickende Okonomie recht bedeutende Summen aufwenden darf, um diese Verluste zu vermeiden; denn sie sind unwiederbringlich! Außer dem dauernden Ver- luste an Menschenleben sind auch die vorüber- gehenden Schädigungen, die durch diese Volks- seuche verursacht werden, in ihren wirtschaftlichen Folgen nicht zu unterschätzen. Ein Gebiet, in dem die Pocken herrschen, ist für längere Zeit wirt- schaftlich lahm gelegt. Die Handelsstraßen, die es durchziehen, müssen im Interesse einer wirksamen Seuchenbekämpfung gesperrt werden. Geschieht dies „im Interesse des Handels“ nicht oder unge- nügend, so ist das gleichbedeutend mit einer Ver- schleppung der Epidemie. So ist z. B. der Kame- runer Gummihandel durch eine vor 31½ Jahren über Südkamerun sich ausbreitende Pockenepide- mie empfindlich beeinträchtigt worden. Daß wir — soweit uns möglich ist — die wirksame Waffe in der Bekämpfung der Pocken, das ist die Durch- impfung der Bevölkerung, brauchen, ist selbst- verständlich und sei nur nebenbei erwähnt. Frei- lich: soweit uns möglich ist! Unserm Wollen ist so manche Grenze in der Übermacht äußerer Ver- hältnisse gesetzt. Während die Pocken eipem verheerenden Sturme gleich von Zeit zu Zeit über das Land ziehen, haben wir eine andere Volkskrankheit, die schleichend, aber in ungeheurer Verbreitung sich unter den Eingeborenen festgenistet hat, die Lepra. 2 0 der Erwachsenen sind meiner Schätzung nach in Kamerun durchschnittlich damit behaftet. In