W 20 20 gebenden; denn man kann nicht „organisieren“, wenn man nicht weiß wofür. Was also wollen wir in unseren tropischen Schutzgebieten in der Ein- geborenenhygiene erzielen? Wir sehen, daß unser Wollen beschränkt ist, und so gibt es mit Rücksicht auf diese Beschränkung zwei wesentlich verschiedene Möglichkeiten. Entweder die verfügbaren Mittel, persönliche wie sachliche, Arzte wie Geldmittel werden auf alle die vielen größeren und kleineren, ihrer Erledigung harrenden Aufgaben der Kolo- nialhygiene verteilt, oder wir werfen uns mit kon- zentrierten Kräften zunächst nur den gefährlichsten Feinden des Volkswohles entgegen. Wir wenden, um am praktischen Beispiele deutlich zu werden, entweder alle unsere Mittel zu einer gründlichen, energischen und beschleunigten Ausrottung etwa der Pocken, Lepra, Dysenterie und Schlafkrankheit an (wohlgemerkt natürlich immer neben der prak- tischen ärztlichen Tätigkeit für den einzelnen und wissenschaftlichen Forschung, wo diese möglich ist), oder wir nehmen einen Anlauf gleichzeitig gegen sämtliche volkshygienischen Übelstände unter den Eingeborenen. Welche der beiden Methoden vor- zuziehen sei, ist schwer zu entscheiden. Ich selber würde der ersteren den Vorzug geben. Die Be- rechtigung zu diesem Standpunkte leitet sich aus der Überzeugung her, daß die mit den wirtschaft- lich schwersten Schädigungen einhergehenden Volksseuchen an allererster Stelle und mit konzen- triertem Nachdruck in Angriff zu nehmen seien, selbst auf die Gefahr hin, daß weniger wichtige Fragen zeitweise dadurch zurücktreten müssen. Lieber in drei oder vier großen Dingen ganze Arbeit leisten, als ein Dutzend Halbheiten. Lieber einige wenige volkshygienische Aufgaben praktisch durchführen als hundert anschneiden und liegen lassen. Wir können auch mit unseren geringen Mitteln schon gegen Pocken, Lepra, Dysenterie und vielleicht auch Schlafkrankheit, allerdings nach einigen Jahren harter Arbeit, zum Ziele kommen, wenn wir uns gegen sie konzentrieren. Die Be- kämpfung wirtschaftlich weniger wichtiger Volks- krankheiten — greifen wir als Beispiel nur das große Heer der zahllosen verschiedenen Hautleiden und endemischen parasitären Krankheiten heraus — müssen wir zwar im Auge behalten, aber hin- sichtlich ihrer Ausrottung müssen sie und manche andere eine eura posterior sein. Ich will damit nicht etwa behaupten, daß bei günstiger Gelegen- heit nicht auch weniger bedeutsame volksgesund- heitliche Schäden da, wo wir ihnen gerade bequem beikommen können, jetzt schon beseitigt werden sollten. Aber es muß ein Gelegenheitsschlag sein. IJm übrigen die praktische Arbeit nicht zersplittern und zunächst das Gröbste möglichst im ganzen Lande gründlich verrichten. Unsere musterhaften heimischen volkshygienischen Vorkehrungen können wir leider nicht in die Tropenkolonien übertragen. In ihnen müssen erst die Fundamente geschaffen werden. Volksheilstätten, Irrenanstalten, Blinden- heime, Taubstummenschulen oder Krüppelheime können wir nicht gründen, aber Lymphe gewinnen und alle unsere Schwarzen durchimpfen, für jeden Bezirk ein Lepradorf anlegen, unsere Schlaf- kranken isolieren, die Ernährungs= und Trink- wasserfrage bei allen Massenansammlungen regeln und überwachen, das könnten wir. Um nicht miß- verstanden zu werden, möchte ich einfügen, daß ich natürlich nur in der Volkshygiene für Eingebo- rene diese meine Ansicht gelten lasse. Ganz anders liegen die Dinge bei der gesundheitlichen Fürsorge der Europäer in den Tropen. Ihre bis- her geringe Zahl, die eigentlich kaum dazu berech- tigt, von „Volkshygiene“ bei ihnen zu sprechen, ermöglicht und erfordert allseitige bis ins kleinste gehende Arbeit auch schon jetzt. Freilich würde sich auch hierbei empfehlen, die Grundfragen zuerst zu lösen. In den genau festgelegten großen Richtlinien für die volkshygienische Arbeit liegt gleichzeitig eine weitere, wesentliche Gewähr für ein unge- trübtes Zusammenwirken von Volkshygieniker und Verwaltung, zumal wenn diese nicht nur die Sanktion, sondern auch einen Nachdruck durch die vorgesetzte Behörde erhält. Der koloniale Verwaltungsbeamte kann aber die Eingeborenenhygiene nicht nur in den Be- zirken, denen bereits ein Arzt zur Verfügung steht, fördern; auch da, wo Arzte noch nicht stationiert sind, vermag er allein sehr viel für sie zu tun. Bei einem Kulturvolke geht der Schwerkranke, wenn er vernünftig ist, sofort zum Arzte; ist er unver- nünftig, so sucht er ihn wenigstens als letzte Instanz auf. Beim Naturvolke ist für einen Er- krankten nach der üblichen Durchgangsstufe des Fetischpriesters oder sonstigen Medizinmannes die letzte Hoffnung der Weiße schlechthin, das höhere Wesen, von dem er als selbstverständlich annimmt, daß er auch eine wirksame Arzuei für sein Leiden habe. So wird jeder Europäer auf Reisen im „Busch“ erlebt haben, daß ein Kranker ihn um Hilfe bat. Die meisten, auch nicht mit Arzten be- setzten Stationen in unseren Kolonien haben schon seit Jahren, ebenso wie vor ihnen bereits die Missionen, für ihre Arbeiter, Gefangenen und wer sonst zu ihnen kommt, einen täglichen Samariter- dienst eingerichtet, durch den Verbände angelegt und andere einfachere gesundheitliche Hilfeleistun- gen gewährt werden. Sie treiben also damit In- dividnalhygiene, Kolonialpolitik, und zwar eine Politik, die dem Neger sehr willkommen ist und von ihm geschätzt wird. Selbst eine nachhaltige Dankbarkeit wird er, wenigstens in einzelnen Fällen, für genossene Hilfe bewahren. Ein rühren-