W 439 20 tragsangelegenheit ist von der Budgetkommission nicht gefaßt worden. Im übrigen hat sich die Mehr- beit des Reichstages auf den Boden gestellt, daß ein Vertrag zu schließen sei, und daß die hierfür von der Budgetkommission einstimmig niedergelegten Wünsche auch im wesentlichen bei dem neuen Vertragsentwurf erfüllt seien. Dagegen hat niemand im Reichstage auch nur die moralische Verantwortung für die Führung eines Prozesses mit der Kolonialgesellschaft übernehmen wollen, wie der Staatssekretär in der Sitzung vom 4. Mai d. J. ausdrücklich festgestellt hat. Derjenige Abgeordnete, welcher den Vertrag am schärfsten be- kämpfte, hat sich hinsichtlich der Verantwortung für die Führung eines Progesses dahin geäußert, daß das nicht seine Sache sei, und daß darüber das Reichskolonialamt zu befinden habe. Also auch dieser Abgeordnete hat gegenüber dem Gutachten der Reichsjustizverwaltung es nicht über sich vermocht, das Reichskolonialamt auf den Weg des Prozesses hinzuweisen. Es erhebt sich schließlich die Frage, ob dem Schutz- gebiete durch die eingangs erwähnte Resolution des Landesrats gedient ist. Eine solche Resolution gehört zweifellos nicht zu seiner Kompetenz, und sie wäre besser privaten Vereinigungen überlassen geblieben; auch läßt sie die unentbehrliche Objektivität vermissen. Der Landesrat ist ein beratendes Organ der Verwaltung. Setzt er sich durch eine solche Resolution in offenen Gegensatz zur Verwaltung, so wird er schwerlich ver- langen können, daß die Verwaltung ihm mit Vertrauen entgegenkommt. Kamerun und die deutsche Sprache. Eine Berliner Wochenschrift hatte jüngst den Brief eines farbigen Oberhändlers aus dem Schutz- gebiet Kamerun mitgeteilt, in dem über die Bevorzugung der englischen Sprache auf Kosten der deutschen in dieser Kolonie Klage geführt wurde. Hierzu erhält die „Welt- Korrespondenz“ von einer mit den Kameruner Verhältnissen genau vertrauten Seite folgende Zuschrift: „. Selbstverständlich sei es sein Wunsch, daß unsere deutsche Muttersprache dermaleinst allgemeine Umgangssprache in Kamerun werde und das entsetzliche Kanderwelsch des Pigeon-Englisch aus der Kolonie ver- schwinde; zur Zeit aber wolle es die bittere Not- wendigkeit noch anders."“ Mit diesen Worten eines Offiziers der Schutz- truppe Kamerun, dem auf Grund einer mißverstan- denen oder entstellten Außerung der Vorwurf mangelnden Heimatstolzes gemacht worden war, hat der Herr Staatssekretär des Reichs-Kolonialamts in der Reichstagssitzung vom 17. März d. Is. die tat- sächliche Auffassung unserer Kameruner Offiziere und Beamten gekennzeichnet und damit die Legende zer- streut, als werde an maßgebenden Stellen die deutsche Sprache in unserer aussichtsreichen Kolonie am gui- neischen Golf zugunsten der englischen stiefmütterlich behandelt. Wenn die nachstehenden Ausführungen zur Klärung beitragen sollen, möge von vornherein der dringende Wunsch betont werden, mit allen verfügbaren Mitteln und an allen, auch den nichtamtlichen Stellen, der Verbreitung unserer Muttersprache in den afrikanischen Besitzungen vorzuarbeiten und die Wege zu ebnen. Denn sie hat dort noch heute mit ungewöhnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Diese sind in der Hauptsache zurückzuführen auf das Sprachengewirr der zahlreichen Kamerun- stämme einerseits und anderseits auf das umfang-ä reiche Bedürfnis von Truppe und Kaufmann- schaft an ausländischem Personal. Es ist dabei gleichzeitig daran zu erinnern, daß die Erschließung des IJunern Kamernns doch erst neueren Datums ist; üÜber anderthalb Dezennien war dies Schutzgebiet das Stiefkind unserer afrikanischen Kolonien und seine Ver- waltung auf einen schmalen Küstenstreifen beschränkt; erst mit dem Jahre 1900 hat hier eine systematische Erschliehung des Innern begonnen. Da machte sich dann sofort der vollständige Mangel eines einigermaßen vorherrschenden Landesidioms in der nachteiligsten Weise fühlbar. Die Eingeborenensprachen der Küstenstämme wurden im Innern von niemandem verstanden. Dort traten uns im Süden das Ngumba, Jaunde, Bulu, Bakoko, Ntum, Voghebelinga, Mpfong, Maka u. a. m. zunächst als ganz neue und unerforschte Idiome entgegen. Nördlich des Sanaga war es in den Gebieten Tinto, Fontem,. Jabassi, Dschang. Ossidinge, Bamenda, Bamum und Joko nicht viel besser. In Adamang folgte das Fulbe der Fullahstämme sowie die noch heute nicht erforschten Sprachen der zahlreichen Heidenstämme: im Tschadseegebiet trafen wir auf das Kotoko, Arabisch und die Sprachen der Heidenstämme im Zwischenstrom- land. Dazu kam schließlich noch das Haussah, als diese Händler um 1904 allmählich aus den Fullahgebieten bis zur Küste sich durchgehandelt hatten. Der einzgige Dialekt aber, den wir auch im Innern fast überall antrafen, war das an der ganzen Westküste Afrikas verbreitete Pigeon-Englisch, ein Gemisch von schlechtestem Portugiesisch und Englisch, das den Vorzug leichten Erlernens hat. Die Verbreitung dieses „entsetzlichen Kauder- welsches“ im Innern war eine gang natürliche Folge des vordringenden Handels, der ja auch in Kamerun bekanntlich vor der Verwaltung seinen Zug ins In- land unternommen hat. Die Handelssprache an der gangen Küste aber war — und ist auch heutzutage noch vielfach — damals ausschließlich das Englische bew. Pigeon-Englisch. Und das war auch wieder ganz erklärlich; denn zwei der bedeutendsten Firmen an der Kamernner Küste waren englisch, während die deutschen schlechterdings darauf angewiesen waren, ihren Bedarf an Händlerpersonal aus englischen, zu einem geringen Prozentsatz auch aus franzgösischen Kolonien zu decken. Mit diesen Händlern aber zog das Pigcon-Englisch ins Jnnere, und was war bei dem dortigen Sprach- gewirr natürlicher, als daß auch die eingesessenen Ele- mente, die sich dem Händlerberuf widmeten, das Idiom ihrer Lehrer annahmen? Wenn man nun außerdem noch bedenkt, daß im Südbezirk eine amerikanische Mission ihre Stationen bereits in das Innere vor- geschoben hatte, die, wenn auch nicht absichtlich fördernd, schon durch ihre Anwesenheit eine gewisse Propaganda für das englische Idiom abgab, so wird man verstehen, mit welchen Schwierigkeiten die 1900 beginnende Er- schließung des Innern in sprachlicher Begiehung zu kämpfen hatte. Was aber hatten die damaligen Offiziere und Beamten an Rüstzeug zur Verfügung"? Als die Eng- länder Nigerien, die Franzosen ihren Kongo erschlossen, da standen ihnen in anderen Kolonien seit Jahren er-