364 Milchkühe vorhanden, erhalten sie, meist schon in den ersten Tagen nach der Geburt, rohe Kuh— milch, die sie, nach Aussage vieler intelligenter Eingeborener, gut vertragen sollen. So werden die Säuglinge gewöhnlich zehn bis zwölf Monate genährt; in manchen Landesteilen soll das Stillen zwei Jahre dauern. Am Ende des ersten Jahres beginnt dann die Ernährung mit kleinen Portionen Bananen- brei, der ja hier fast die ausschließliche Nahrung der Erwachsenen bildet, daneben mit Kartoffeln, Bohnen und, wenn vorhanden, auch mit Fleisch, so daß die Kinder im Laufe des zweiten Jahres so weit kommen, daß sie dieselbe Nahrung wie die Erwachsenen zu sich nehmen. Bei dieser Art der Ernährung sollen nur sehr wenig Kinder zu- grunde gehen. Wo jedoch die Kuhmilch fehlt, sollen die Eltern schon vorher anfangen, die Säuglinge mit anderer Nahrung zu füttern, und zwar, sobald die ersten Zähne sich zeigen, also etwa mit sechs bis acht Monaten. Allerdings befolgen die Ein- geborenen der oben erwähnten Sultanate dabei nicht die Taktik der Karagweleute, daß sie nämlich die Kinder sozusagen vollstopfen, sondern sie be- ginnen die Gewöhnung an die Erwachsenen- Nahrung immer ganz allmählich, so daß auch bei dieser Methode die Kinder im allgemeinen gedeihen sollen, soweit sie nicht interkurrenten Krankheiten erliegen. Saure Milch wird anscheinend über- haupt nicht genossen. Sehr selten soll es sein, daß einmal eine Frau selbst gar nicht stillen kann. Dann findet sich wohl immer eine Bekannte, die das Kind mit an ihre Brust nimmt. * r 1 Soweit die vorliegenden Berichte. Wenn wir nunmehr die Ergebnisse überblicken, so ist allen Stämmen gemeinsam die ausgiebige Ernährung der Säuglinge mit Muttermilch. Bei den meisten Stämmen wird diese Form der Säuglingsernäh- rung für so wichtig angesehen, daß, wenn die eigene Mutter ausfällt, gewohnheitsmäßig Ver- wandte für sie eintreten oder Ammen gegen Ent- gelt angenommen werden. Fast allen Stämmen gemeinsam ist auch die Ausdehnung des Still- geschäfts auf eine ungewöhnlich lange Zeit, die sich über mehrere Jahre erstrecken kann. Bis hierher ist also zweifellos das ostafrikanische Ein- geborenenkind sehr viel günstiger gestellt als das deutsche Kind, das, wie bekannt, nur allzu häufig seine natürliche und durch nichts ersetzliche Nah- rung — die Muttermilch — aus allerlei Gründen überhaupt entbehren muß oder nur eine allzu kurze Zeit genießen darf. Unzweckmäßig und im Interesse der Kinder zu bedauern ist die in vielen der Außerungen ge- schilderte frühzeitige Beigabe von allerlei Suppen und Breien, von roher, unverdünnter oder gar saurer Milch und von anderen Stoffen, wie sie fast alle Stämme im vermeintlichen Interesse der Kinder in bester Absicht ausüben. Wenn man indessen auch hier wieder heimische Verhältnisse zum Vergleiche heranzieht und überlegt, daß noch heutzutage in Deutschland in manchen Kreisen die Ernährung der Kinder mit allerlei Kindermehlen, allein oder als Zugabe zur Kuhnmilch, verbreitet ist, daß auf dem Lande bei uns auch heute noch Brei und Schnuller ihre Rolle spielen, so wird man die Lage des ostafrikanischen Eingeborenen- säuglings gegenüber dem deutschen Säugling nicht als allzu ungünstig beurteilen dürfen. Wenn in einzelnen der vorher abgedruckten ärztlichen Auße- rungen diesen sicher unzweckmäßigen Beigaben zur Muttermilch eine sehr große Rolle bei der Sterb- lichkeit der ostafrikanischen Kinder beigemessen wird, so erscheint diese Ansicht so lange nicht als aus- reichend gerechtfertigt, als nicht durch eingehende Untersuchung im einzelnen Falle die Krankheiten ausgeschlossen werden, die nach dem Urteil er- fahrener Tropenärzte die Säuglingssterblichkeit in den Tropen gleichfalls in hohem Maße beein- flussen, wie Malaria, Rückfallsieber, Syphilis, Wurmkrankheit u. a., Krankheiten, die nur allzu oft unter dem Bilde chronischer Verdauungs- störungen verlaufen. Hier werden genauere wissen- schaftliche und statistische Untersuchungen mit der Zeit Aufklärung zu schaffen haben. Vorstellungen und Gebräuche, die mit der Auf- zucht des neugeborenen Kindes zusammenhängen, pflegen tief in Herz und Anschauung des Volkes zu wurzeln. Bergen sie doch häufig uraltes Erbgut, Weisheit der Mütter des Volkes. Und wenn die Bestrebungen auf Einschränkung der Säuglings- sterblichkeit in der deutschen Heimat nur langsam Boden gewinnen, so werden Belehrungen hier- über bei der Masse der ostafrikanischen Neger in absehbarer Zeit noch auf jenen passiven Widerstand stoßen, den alteingewurzelte Gewohnheit der Neue- rung, Erbweisheit der wissenschaftlichen Erkenntnis, Mangel an Einsicht auch dem Wohlwollen, völki- sches Mißtrauen immer einer fremden Rasse ent- gegenzubringen pflegen. Erfolge auf diesem Ge- biete werden sich für die nächste Zeit in Deutsch- Ostafrika im allgemeinen auf jene kleinen Kreise von Eingeborenen beschränken, welche die christliche Mission in ihrem Arbeitsgebiete um sich sammelt. Es soll damit nicht der Untätigkeit das Wort ge- redet sein. Die Verwaltung hat ein Merkblatt über richtige Säuglingsernährung in Kisuaheli * Shauri njema. Habaria ya kutunza watoto“ in vielen Tausenden von Exemplaren im Lande verbreitet, das angeblich bei den Eingeborenen vielfach Beachtung und Nachfrage gefunden hat.