356 20 ehesten zu erreichen waren, zur Rückkehr zu be- stimmen. Ich selber war mehrere Tage auf der Suche nach ihnen. Aber in stundenlangen Wan- derungen in Sümpfen, wo man manchmal bis an die Hüften einsank, hatten wir jede Spur ver- loren. Sie schienen über die Grenze gegangen zu sein. Die ständige Unruhe, in der sie wegen Stellung von Trägern, Boten usw. lebten, mag auch ein Teil dazu beigetragen haben, wenigstens bei denen, die sich sonst von Schuld frei fühlten. Berechtigte Sorge erregte bei uns der Umstand, daß allenthalben englische Boten sich herumtrieben, die überall ausstreuten, Kamerun würde bald englisch werden, und die Eingeborenen dazu auf- forderten, jeden Deutschen gefangenzunehmen und nach Calabar zu bringen. U. a. bekam man auch zu hören, die Engländer hätten den Schwarzen mancherlei Versprechungen gemacht: sie dürften, wenn fie englisch werden, wieder Ge- wehre haben, auch gewisse heidnische Spiele, die von der Regierung verboten waren, wieder spielen, wieder zerstreut im Busch wohnen usw., — wie eben alle die kleinen Wünsche der Schwarzen lauteten. Zusehends konnte man wahrnehmen, wie die zurückliegenden Stämme, wie Bima, Batanga, Ngolo, allmählich der Mission fern- blieben. Echt englisches System! Erst das Volk bear- beiten und verhetzen, wobei nicht an Geld gespart werden soll, und dann in der „uneigennützigsten Weise dem bedrängten Volke zu Hilfe zu eilen“. Das Ansehen der Missionare hat darunter nicht wenig gelitten. Am 18. November zog sich der Posten bei Bekoko plötzlich zurück, wie wir später hörten, in der Richtung nach Dschang. Jeden Augen- blick erwarteten wir die Engländer. Vierzehn Tage waren schon vorüber, wir dachten kaum mehr daran, daß sie noch kämen. Da plötzlich — es war am 2. Dezember, nachmittags 4 Uhr — war unsere Station von englischen Soldaten um- zingelt. Die beiden Engländer (Hauptmann mit Unteroffizier) ließen uns aber auf unsere Vor- stellungen unbehelligt, dagegen nahmen sie des anderen Tages den Faktoristen von der D. W. H.= Faktorei (auf der anderen Seite des Flusses) als Kriegsgefangenen mit nach Calabar. Der Schlüssel der Faktorei wurde uns anvertraut. Unterdessen wurde das Gerücht verbreitet, wir würden die Deutschen unterstützen; auch die Mission soll jetzt fort, sie sind auch Deutsche. Eine andere Nachricht kam: Aus der deutschen Jkang-Faktorei hätten die Engländer alles den Schwarzen geschenkt. Das wäre auch in der Ndian-Faktorei so gekommen, wenn die Mission nicht da wäre. Sie brauchten keine Mission mehr, wir sollten machen, daß wir fortkämen. Nur unser ruhiges, sicheres Verhalten konnte das Volk vor Ausschreitungen zurückhalten, sonst wäre die Faktorei gewiß eine Beute seiner ent- fesselten Leidenschaften geworden. Das Itkasa- Dorf stand ganz und gar auf unserer Seite und mißbilligte das Benehmen der Ndian= und Bekoko- Leute, um die es sich besonders handelte, sehr. Doch muß ich zu deren Entschuldigung anführen, daß sie ein Opfer der allgemeinen Verhetzung waren. Am 18. Januar kamen Engländer zum zweiten Male, zwei Hauptleute mit nur geringer Beglei- tung. Sie ließen uns aber unbehelligt. Auf unsere Anfrage, ob wir die notwendigsten Sachen von Calabar beziehen könnten, bedeuteten sie, das wäre vollständig ausgeschlossen, jedoch wenn wir nach Viktoria oder Duala kämen, stünde uns der Weg offen nach Fernando Poo, wo übri- gens die meisten unserer Leute schon hinge- kommen seien. Am 1. Februar kamen Engländer zum dritten Male unter Oberleutnant Umbers, der uns „freundlichst einlud", mit nach Calabar zu fahren, die Pinasse wäre schon bereit. Wir packten die notwendigsten Sachen zusammen und am 2. Fe- bruar, morgens 10 Uhr, fuhren wir ab, nachdem die Engländer noch einige unserer Leute als Wächter zurückgelassen hatten. In Ikang, auf der deutschen Faktorei, wo der ebengenannte Oberleutnant sein Standgquartier hatte, wurde übernachtet. Erst des anderen Tages, nach Eintritt der Dunkelheit, kamen wir in Cala- bar an. Es war auch gut so. Denn plötzlich, als wir ahnungslos ans Land stiegen, sahen wir uns von einer Abteilung Polizeisoldaten umzingelt. Immer- hin hatten wir noch die Hoffnung, wenigstens bei der Mission Unterkunft zu bekommen. Doch eine Täuschung kommt nie allein: nachdem wir, hungrig und durstig wie wir waren, von einer Behörde zur anderen herumgeführt worden waren, wurden wir endlich auf der Polizeiwache interniert. Obgleich es schon 10½ Uhr nachts war, konnte doch keiner vor Hunger, Aufregung und Enttäuschung einschlafen. Aufgepflanzte Seitengewehre blitzten beim schwachen Scheine der Lampe vom Ausgang her. Erst am anderen Tage um 11 Uhr dachte man wieder an uns. Als fernerer Aufenthalt hier in Calabar sollte uns das Schulhaus der Presbyterianer dienen, das durch Stacheldraht usw. zu einem Gefängnis umgestaltet war. In wenigen Tagen sollten wir weitertransportiert werden, bald hieß es nach Lagos, bald nach England, bald nach einer englischen Insel nahe bei Amerika. Aber aus Tagen wurden Wochen. Die Bewachung seitens der Soldaten, die wie Leoparden um uns herumlagen und bei Tag und Nacht auf jede Bewegung lauerten, wie überhaupt die ganze