G 382 20 Dachte man zunächst, es hier mit Arbeitsunlust motiv jeder Kolonialverwaltung: Das Schaffen einer noch ziemlich bedürfnislosen Bevölkerung zu tun zu haben, so sah man bald ein, daß es hauptsächlich ein anderer Faktor war, der den Arbeitermangel bedingte: die Bevölkerungsziffer war meist nicht so hoch als man gedacht hatte. Wir wollen dies nun in bezug auf Kamerun und im besonderen in bezug auf das Sangme- lima-Gebiet prüsen. In Kamerun haben wohl alle, die als erste fechtend in den Urwald ein- drangen, die Zahl der dortigen Bevölkerung weit überschätzt. Es lag dies hauptsächlich an der Kampfesweise der Eingeborenen. Des Massen- gefechtes, des geschlossenen Angriffs bei Tage ab- hold, lauerten sie einzeln oder in Trupps von zwei bis drei Mann den Weißen auf. Das daraus sich ergebende dauernde Geplänkel, das monate- lange Hinziehen der Kämpfe ohne nennenswerte Erfolge mußte den Gedanken aufkommen lassen, man hätte mit vielen Tausenden von Kriegern zu tun, wo es sich oft nur um wenige Hunderte handelte. War dann ein Gebiet befriedet, so dauerte es Jahre — und in manchen Teilen noch länger —, bis es gelang, die Bevölkerung aus dem „Busch“ zu holen und an die Straßen zu siedeln. Bei der Unübersichtlichkeil des Geländes war dies natürlich kein Leichtes. Eine genaue Zählung der Bevölkerung war daher auch sehr schwierig. Sie wurde noch schwieriger, als die Bevölkerung bei Einführung der Kopfsteuer, Ge- stellung von Arbeitern usw. ein Interesse daran hatte, möglichst gering zu erscheinen. Nur durch dauerndes Bereisen der Bezirke, wiederholtes Zählen der Bevölkerung (besonders beim Impfen, zu dem sich die Eingeborenen meist drängten) und Geländeaufnahmen gelang es allmählich, eine genauere Bevölkerungsstatistik zu erhalten. Wie schwierig die darin enthaltenen Feststellungen waren, möchte ich nur an zwei Beispielen zeigen: Nachdem der Bezirk schon jahrelang in Verwaltung war, wurde mir die Erxistenz des Dorfes Banam erst im Februar 1913 dadurch bekannt, daß gegen einen dortigen Bewohner eine Klage vorgebracht wurde. Fünf Jetsang-Häuptlinge erhielten von mir nach ihrer Unterwerfung im Frühjahr 1907 Ausweise; sie entzogen sich dann so lange der Kenntnis der Behörde, bis ich sie im Februar 1913 in ihren Buschdörfern überraschte. Als man sich nun darüber klar wurde, wie gering die Zahl der Bevölkerung war, als man sah, wie bei der steigenden Zahl europäischer Unternehmungen ein immer größerer Arbeiter- mangel eintrat, der besonders bei Pflanzungen in menschenarmen Gebieten zu einer Eristenzfrage wurde, da setzten die Bemühungen ein, die Be- völkerungsziffer zu heben. Seitdem ist das Leit- einer zahlreichen, arbeitsfähigen Bevölke- rung gebieten nicht nur humane Gründe, sondern gebietet die Erkenntnis, daß darauf die wirt- schaftliche Zukunft einer Kolonie beruht. Zur Vermehrung einer Bevölkerung muß man bemüht sein, die Geburtenziffer zu erhöhen und die Sterblichkeitsziffer herabzudrücken. Die Wege, dies zu erreichen, sind teils rechtlicher, teils sani- tärer Art. In welcher Weise man diesem Problem in Kamerun gerecht wurde, will ich in folgendem zeigen: Mit der Einrichtung einer geordneten Ver- waltung hörten die Kämpfe der Eingeborenen untereinander auf. Vieler Menschen Leben wurde hierdurch nicht nur unmittelbar, sondern auch da- durch gerettet, daß Hungersnöte mit ihren vielen Opfern aufhörten. Denn eine Bevölkerung, die dauernd in Kämpfe verwickelt ist, besitzt kaum Farmen, sei es, daß der Feind diese dauernd zer- stört, sei es, daß er ihr überhaupt keine Zeit zu deren Anlage läßt. Mangelhafte Ernährung ent- kräftet ein Volk, hat eine geringe und schwäch- liche Nachkommenschaft zur Folge und erhöht die Sterblichkeit, besonders die der Kinder. In diesen Zeiten des Faustrechts war auch der Mord an der Tagesordnung, aus Blutrache, aus religiösem Anlaß, aus sadistischen Gründen oder zum Zwecke des Menschenfraßes. Das Leben des Weibes, von dem Eingeborenen als ein nützliches Haus- tier betrachtet, mit dem Geld verdient werden kann, galt vor dem Erscheinen des Weißen nicht sehr viel. Starb der Mann, so brachte man oft seine Weiber um, weil sie ihn vergiftet haben sollten, oder damit sie ihm nach dem Tode Essen kochen könnten. Kaum geboren, wurde das Mädchen in die Che verkauft, ging dann als Pfand von Hand zu Hand. War es dann er- wachsen, so hatte es zu dem Manne, der es gerade besaß, meist wenig Liebe, lief oft unter Instichlassung ihrer Kinder, die verkamen, fort oder beugte durch Abtreiben einem unerwünschten, beschwerlichen Kindersegen vor. Es muß hier be- merkt werden, daß das Abtreiben auch aus aber- gläubischen Gründen geschah und wohl auch jetzt noch heimlich geschieht. (Leibesfrucht vom évu besessen.) Die Stellung der Sklaven war der der Weiber ziemlich gleichwertig. Allem diesen ist jetzt durch gesetzliche Maßnahmen gesteuert. Eine Bevölkerung, die dauernd befürchten muß, vom Feinde vertrieben zu werden, wird sich nicht zu großen Dorfanlagen bequemen und wird, statt Verbindungswege zu anderen Siedlungen zu schaffen, jegliche Verbindung mit der Außenwelt zu sperren bemüht sein. Jeder einzelne Urwald- neger baute also seine Hütte möglichst versteckt und mit dem geringsten Aufwand von Zeit und