GW 177 D.O und England abgeschlossene Verträge wesentliche Anderungen, und zwar zumeist Erweiterungen gegen den Stand von 1885, erfahren. Die deutsche Regierung benutzte diese am 11. Jannar 1895 erfolgte Notifikation, um ihrer- seits in einer Note vom 2. Februar dem Kongo- staat gegenüber zum erstenmal den Wunsch aus- zudrücken, die geradlinige Grenze im Norden des Tanganjika durch eine zweckmäßigere, natürliche ersetzt zu sehen, wobei betont wurde, daß ihr eine Gebietserweiterung zum Schaden des Kongo- staates mit dieser Anregung fernläge. Denn mittlerweile war die praktische Inverwaltungnahme des deutsch-ostafrikanischen Schutzgebietes bis in die Seengebiete vorgeschritten. Die Kenntnis des nordwestlichen Teiles des Schutzgebietes hatte sich namentlich durch die Expedition des Grafen von Götzen, der 1894 zum erstenmal Ruanda durchzogen, einen der Gipfel der Virunga (Mfum- biro)-Vulkane als erster Weißer bestiegen und den bis dahin sagenhaften Kiwusee zum erstenmal be- fahren hatte, beträchtlich erweitert. Es war von Graf von Götzen sofort erkannt worden, daß die geradlinige Grenze zu schweren Unzuträglichkeiten in baldiger Zukunft führen müsse. Denn diese Linie zerschnitt das große und mächtige Sultanat Ruanda, dessen Integrität geradezu eine Lebens- frage für die deutsche Kolonie war, in zwei Teile, führte zum guten Teil durch wild zerklüftete Ge- biete, in denen die Absteckung einer den praktischen Bedürfnissen dienenden klaren Grenze unmöglich war, während der Russisi und der Kiwusee eine natürliche, in topographischer und ethnographischer Richtung ideale Abgrenzung gestatteten. Nach mehrfachem Notenwechsel, in dem deut- scherseits wiederholt die Hoffnung ausgesprochen wurde, daß bei der so wesentlichen und uneigen- nützigen Förderung, die Deutschland dem Kongo- staat von seiner Geburtsstunde an nach jeder Richtung, oft unter den schwierigsten Verhältnissen in so reichem Maße habe zuteil werden lassen, es nun auch seinerseits auf ein billiges Entgegen- kommen seitens des Kongostaates werde rechnen dürfen, gab die Regierung des Kongostaates am 23. März 1895 scheinbar ihre Zustimmung. Sie erklärte sich bereit, im Fall der parlamentarischen Genehmigung der die Annexion des Kongostaates durch Belgien betreffenden Gesetzesvorlage, mit der man in Brüssel damals beschäftigt war, in die von deutscher Seite gewünschten Grenzver- handlungen einzutreten. Diese Zusicherung war aber, wie die kongolesischen Akten jetzt ergeben haben, nur eine auf Täuschung und Hinhaltung der deutschen Regierung berechnete Kundgebung. Sie sollte dazu dienen, die Sache hinauszuziehen, bis die örtlichen Behörden im Kongostaat 1896 gebiet mit Truppen zu besetzen und so den deutschen Wünschen diametral entgegenhandeln zu können. Denn in dem Dossier Kiwun V 1 feldet sich der Auszug eines Schreibens des belgischen Mi- nisters des Außeren de Burlet vom 15. Februar 1895 an den Comte de Borchgrave, in dem es heißt: „En ce qui concerne le désir qu'aurait ex- primé le Comte d’Alvensleben (2. Februar 1895) de voir substituer au Nord du Tanganika une frontière naturelle à la frontière astronomiqdue actuelle, il a été convenu hier au socir, chez Sa Majesté, due le Ministre d’Allemagne aurait à préciser sa demande, mais il Mn’'a pas 6té duestion de donner satiskaction à Son Ex- cellenee et je persiste à considérer comme actuellement inopportun tout ce due pourrait ätre interprété par Elle en ce sens.“ Eine Notiz des Administrateur Génécral von Eetvelde bemerkt hierzu unter „Points à tenir en vue en cas de négociations: 1. Keine Flußgrenze, sondern Bergketten wegen Schwierigkeiten der Flußpolizei; 2. Besitzbewahrung der hochgelegenen Gebiete im Norden des Sees wegen der Möglich- keit einer europäischen Kolonisation; 3. Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen unseren Seen im Hinblick auf die eventuelle Erbauung von Eisenbahn= und Telegraphen- linien. Die Okkupation des Kiwnugebietes durch die kongolesischen Truppen war nur von kurzer Dauer. Infolge der großen Meuterei der Batetela-Truppen sah sich der Kongostaat veranlaßt, seine militä- rischen Kräfte zu konzentrieren und die Posten aus der Kiwu—Russisi-Zone 1897 zurückzuziehen. Um der Unsicherheit der Verhältnisse in den von den Kongotruppen verlassenen Gebieten zu steuern, wurden sie von dem Hauptmann und Bezirkschef Bethe im Oktober 1898 besetzt. Ungefähr ein Jahr später, am 18. November 1899, erschien der belgische Capt. Hecq, begleitet von einer starken Macht, mit dem Auftrag, das früher von den Kongolesen geräumte Gebiet wieder zu be- setzen. Hauptmann Bethe verweigerte die Räu- mung, und es kam nach mehrtägigen Verhand- lungen am 23. November 1899 ein Abkommen zwischen den beiden Befsehlshabern zustande, welches folgende Hauptbestimmungen enthielt: Der Status duo vom 18. November 1899 bleibt bis zu einer Verständigung der heimischen Regierungen untereinander bestehen. Das Deutsche Reich übt in dem streitigen Gebiet die Hoheits- rechte aus. Als äußeres Zeichen dafür, daß der Kongostaat seinerseits Anspruch auf das streitige