270 20 schrift aufzusetzen, die dem Minister Beernaert als Unterlage bei der Vertretung der Interessen des Kongostaates im Falle von Angriffen gegen ihn in den belgischen Kammern dienen sollte. In dieser Anweisung heißt es: „Coquilhat aurait Gcrit qu'il fallait que l'Etat s'aquiert le plus d'argent possible. S'il a éerit cela il ne faut pas détacher un heller d'un ensemble. Co- quilhat voulait faire rendre à César tout ce qui est à César, ne pas laisser à d'autres qu'à I’Etat à moins de concessions le produit de ses domaines.“ Wenn Cäsar der feierlichen Verpflichtungen eingedenk gewesen wäre, die er bei der Unter- zeichnung der Kongoakte übernommen hatte, die eingeborene Bevölkerung zu schonen und ihre materielle und moralische Lage zu bessern und zu fördern, so hätte sich über eine solche Auffassung, daß der Staat möglichst viel Geld zusammen- raffen soll, noch diskutieren lassen. In Wirklich- keit aber dienten die aus dem Kongo fließenden Millionen, sehr im Gegensatz zu den in den Ge- burtsstunden des Staates feierlich verkündeten humanitären Grundsätzen, zur Förderung der Macht und des Glanzes der Dynastie, zur Be- friedigung einer nach und nach fast krankhafte Dimensionen annehmenden Lust an nicht selten eines ernsten Zweckes entbehrenden Luxusbauten und zu finanziellen Unternehmungen in allen Teilen der Welt. Für die Förderung der Ein- geborenen, den wesentlichen Zweck der modernen Kolonisation, geschah nichts. Unter dem Tröger- und Arbeitszwang entvölkerte sich der Kongo in erschreckender Weise. Die materielle Lage der Eingeborenen erfuhr eine wesentliche Verschlechte- rung, sie verarmten, die einheimische Gewerbe- tätigkeit verschwand, und für das Schul= und Bildungswesen geschah so gut wie nichts. Den unausbleiblichen Fehlschlag einer solchen Wirt- schaftspolitik hatte der Bericht der Untersuchungs- kommission 1905 bereits an die Wand gemalt. Seit Ende 1906 waren die Zustände unhaltbar geworden, nachdem der König die natürlichen Bodenschätze des Kongo an sechs Organisationen verteilt hatte, ein Eingriff, der Belgien für Menschenalter die freie Verfügung über diese Hilfsquellen seiner zulünftigen Kolonie entzog. Diese Maßnahme, unmittelbar vor der nicht mehr zu vermeidenden Annexion vollzogen, mußte als eine Art Racheakt gegen das auf seine Annerions= rechte bestehende Parlament ausgefaßt werden. Sie bewies deutlich, wie wenig dem Herrscher daran gelegen war, dem Mutterlande eine wohl- geordnete, finanziell sicher fundierte Kolonie zu hinterlassen, und stellte eine Verschleuderung des Nationalvermögens dar, die nichts mit dem Bild eines weitblickenden, umsichtigen und fürsorgenden Landesvaters zu tun hatte. Man hat den König wegen seiner ausge- dehnten Finanzoperationen als einen gewiegten Geschäftsmann und einen der hervorragendsten Großkaufleute bezeichnet'). Der eingangs er- wähnte Vorgang mit dem englischen Eisenbahn- syndikat ist nicht geeignet, dieses Urteil zu be- stätigen. Wenn die vom Kongostaat in China eingeleiteten ungewöhnlichen Geschäfte für ihn, h. für den König, vorteilhaft abgeschnitten haben, so“ dürfte dies wohl hauptsächlich den Rat- schlägen des Bankiers Empain und der „So- ciété générale“ zu danken sein"'). Schließlich darf man nicht außer acht lassen, daß die vom König hinterlassenen, in den verschiedensten Fonds, Stif- tungen und besonderen Vermögensverwaltungen *) Prof. Dr. A. Rathgen, der in Brüsiel Ge- legenheit gehabt hat, Einblick in amtliches Material zu nehmen, äußert ich in hiner kürglich erschienenen Studie über „Leopold II.“ (Der Belfried, April, „Mai- Heft 1917. S. 402) nach dieser Richtung, wie folgt: „Man hat geglaubt, Leopold II. charakterisieren zu können, wenn man ihn als einen smodernen Menschen- begeichnete. Das scheim mir durchaus schief zu sein. Angesichts der Millionen, die er aus dem Kongo- Unternehmen herauszuholen wußte, hat man ihn einen großen Geschäftsmann genannt. Für den Sohn eines Coburg und einer Orléans klingt das ja nicht un- wahrscheinlich. Aber Leute, die den König gelamm haben, versichern, daß er das eigentlich Geschäftliche seiner großen Finanzpläne nie recht beherrscht habe.“ *“) Der unermüdlich auf die Förderung der bel- gischen Auslandsinteressen bedachte König ließ sich alle Berichte der belgischen Vertreter im Ausland, die Mitteilungen besonders wichtiger kommerzieller Natur enthielten und die geeignet erschienen, das belgische Kapital an ausländischen Unternehmen und Geschäften zu interesieten unmittelbar nach ihrem Eingang und vor ihrer Veröffentlichung vorlegen. Er pflegte dann die Finanzleute seines Vertrauens „en barfaite con- naissance de cause- mit Mitteilungen Zu versehen. um sie zu veranlasien, sich an solchen Geschäften zu beteiligen. Dieses Verfahren führte natürlich zu einer Be- nachteiligung derienigen Geschäftskreise, die sich nicht der königlichen Gunst zu erfreuen hatten und brachte es mit sich, daß die Direktion der Handelsabteilung im belgischen Ministerium des Auswärtigen zuweilen erst verspätet Kenntnis von aktuell wichtigen Berichten erhielt, nachdem sie vom Palais zurückgekommen waren. Es gab Veranlassung zu einek Interpellation, die der Abgeordnete Royer im Februar 1909 — in der Kammer an den Minister Davignon richtete. Der Minister be- stritt die Richtigkeit der Behauptung, daß eine Ver' zögerung in der amtlichen Bearbeitung der Berichte durch dieses Verfahren, das dem König getattete de revéndiquer la primeur des rapports dip umatisne el consulaires. susceptibles d. a#sbeer, le monde des affaires- eintrete. Tatsächlich wurde es aber abgeän- dert und den betreffenden Dienststellen Gelegenhemt gegeben, zuvor summarische Kenntnis von solchen Be- richten zu nehmen, ehe sie in das Palais gesandt wurden, wie aus einer Aktennotiz des Ministerinms vom 25. Februar 190p hervorgeht.