G 306 20 Rede des Staatssekretärs des Beichs-Kolonialamts Dr. olf. Bei einem Empfang in der Deutschen Ge- sellschaft in Berlin am 20. August d. Is. hielt der Staatssekretär des Reichs-Kolonialamts Dr. Solf nachstehende Ansprache: Meine Herren! Ich habe Sie hierher gebeten, um Ihnen meinen Dank dafür auszusprechen, daß Sie so energisch für den kolonialen Gedanken eingetreten sind. Der Krieg stellt übermenschliche Anforderungen an die Vorstellungsfähigkeit des Einzelnen. Die große Kraftprobe an den euro- päischen Fronten, das Kämpfen und Leiden unserer Volksgenossen so nahe von uns nimmt die ganze Aufmerksamkeit der Nation für sich in An- spruch. Darüber mochte wohl das Schicksal un- serer Kolonien etwas in den Hintergrund treten, ja selbst das Schicksal derjenigen, die schon über vier Jahre lang einen verlorenen Posten mit seltenem Wagemut, mit beispielloser Erfindungs- kraft und Leidensfähigkeit verteidigen, lief Gefahr, ich will nicht sagen unserem Herzen, wohl aber unserem Bewußtsein ferner zu rücken, als es die Gerechtigkeit verlangt. Da hat sich die Presse als ein wahrhafter Volkserzieher bewährt und das koloniale Gewissen des deutschen Volkes geschärft. Ich darf es heute aussprechen, daß die Sicher- stellung unserer kolonialen Zukunft nicht allein als das Ziel unserer Regierung und be- stimmter Interessengruppen gilt, sondern daß es oin deutsches Volksziel geworden ist. Bis tief in die Arbeiterkreise hinein ist heute das Bewußt- sein lebendig, daß die Erhaltung unseres kolo= nialen Besitzes eine Ehren= und Lebensfrage für Deutschland als Großmacht ist, daß das koloniale Kriegsziel an nationaler Bedeutung keinem anderen Kriegsziel nachsteht. Diese Einigkeit ist besonders wohltnend angesichts der Pläne unserer Feinde, die in den letzten Tagen so deutlich enthüllt worden sind, wie nie zuvor. Meine Herren! Es liegt heute einc der bedeut- samsten Außerungen der englischen Politik vor, die Rede des Herrn Balfour im Unterhaus. Der Staatssekretär des Außeren meldet in aller Form Englands Anspruch auf die Annexion unserer Kolonien an und zögert nicht, diesen Anspruch moralisch zu begründen. Das ist nun einmal notwendig in England! Zu diesem Zweck beschäftigt er sich nicht allein mit unserer kolo- nialen Methode, sondern geht mit vollen Segeln in die große Politik, unternimmt einen morali- sierenden Weltspaziergang und verkündet am Schluß die englische Glaubenslehre, die darauf hinaus- läuft, das Recht Euglands auf Weltherrschaft als etwas Selbstverständliches hinzustellen, Deutsch- lands Anspruch aber, eine Großmacht zu sein, moralisch zu vernichten. Meine Herren! Balfours Anklage gegen Deutsch- land verlangt eine Antwort. Dazu schweigen, hieße die Mitschuld an der Verunglimpfung unseres Vaterlandes auf sich laden. Ich will mich daher mit den einzelnen Punkten der Rede des Herrn Balfour, soweit sie im telegraphischen Auszug wiedergegeben sind, auseinandersetzen. Balfour behauptet, das intellektuelle Deutsch- land sei von einer moralischen Gewaltlehre be- herrscht. Meine Herren! Hüben und drüben gibt es Chauvinisten und Jingos. Hüben und drüben gibt es Leute, die das Ewig-Gestrige anbeten und mit Angst und Unverstand den herannahenden Morgen einer neuen Zeit erwarten. Vor dem Kriege bildeten diese Leute bei uns eine kleine Gruppe, ohne Geltung in der Politik und ohne Einfluß auf die Regierung, die sie dauernd be- kämpften. Während des Krieges ist ihre Zahl in der Tat gewachsen, nicht etwa, weil das Streben nach deutscher Vorherrschaft in der Welt bei uns tiefer Wurzel geschlagen hätte, sondern weil sie Zuzug bekamen aus weiten Kreisen besonnener und besorgter Patrioten. Unter ihnen sind viele, die vor dem Kriege die Ideale der Bölkerver- ständigung, des guten Willens und des Fairplay in den internationalen Beziehungen hochhielten, deren politische Glaubenslehre aber durch die Er- fahrungen des Krieges zusammengebrochen ist. Wer trägt die Schuld? Niemand anders als die Gesinnung unserer Feinde. Dieselbe Gesinnung, die den großen Gedanken des Völkerbundes durch die gleichzeitige Forderung des Handelskrieges gegen Deutschland entwertet und zu einer Spott- geburt gemacht hat. „Können wir Euch nicht militärisch vernichten, so vernichten wir Euch durch den Völkerbund!“ Wenn ich glaubte, daß die Gesinnung, die heute England zu regieren scheint, die aus der Rede Balfours deutlich spricht, oder die Gesinnung, die uns in dem Prozeß des Pemberton Billing entgegentritt, wenn ich glauben müßte, daß diese Gesinnung für alle Ewigkeit die Oberhand in England hätte, dann würde auch ich dafür eintreten, daß der Kampf auf Leben und Tod ausgefochten werden muß. Ich bin aber der festen Überzeugung, daß vor Kriegsende überall eine geistige Aufleh= nung gegen diese Knock-out-Gesinnung kommen muß und kommen wird. Sonst bleibt die Verwirklichung der Völkerliga ein utopisches Kriegsziel.