G 308 20 Balfour bespricht unser Verhältnis zu jedem einzelnen dieser Randstaaten. An erste Stelle setzt er die Behauptung, die deutsche Inter- vention in Finnland hätte bezweckt, Finnland in deutsche Abhängigkeit zu bringen, mit anderen Worten, ein deutsches Portugal zu schaffen. Welche unerhörte Herabwürdigung des fin- nischen Unabhängigkeitskampfes, der seit Jahrzehnten alle ehrlichen Freunde kleiner Na- tionen begeistert hat! Aber Finnland hat, scheint's, alle Sympathien in England verloren, seit es sich durch das englische Vorgehen in Nord- rußland bedroht fühlt und von der Verbindung mit der eisfreien Murmanküste nicht abgeschnitten werden will. Über unser Verhältnis zu den Ostseeprovinzen, zu Polen und zur AUkraine erhebt Herr Balfour die ungeheuerliche Be- schuldigung, wir seien mit diesen Ländern ver- fahren, sagen wir kurz, wie England mit Griechen- land, das heißt, wir hätten sie zum aktiven Heeresdienst gegen Deutschlands Feinde gepreßt. Kein einziger Soldat ist zum Heeresdienst aus diesen Ländern für Deutschlands Sache gezwungen worden! Weiter, meine Herren, Balfours Anklage gegen die deutsch-rumänische Politik: Hier ist England in der Rolle des Diebes, der ruft: Haltet den Dieb! Aber das Gedächtnis der Welt ist nicht ganz so kurz. Wer hat Rumänien von seiner gesunden Tradition abgezogen! Glaubt Herr Balfour nicht, daß Rumäniens Schicksal besser gewesen wäre, wenn seine Regierung an der Neutralität treu festgehalten hätte? Im übrigen, meine Herren, darf ich daran erinnern, daß die rumänische Presse selbst gerade in den letzten Tagen gegenüber den Behauptungen Bratianus und seiner Genossen betont, daß die Wahlen zu dem Parlament, auf dessen Mehrheit die Re- gierung sich stützt, ordnungsmäßig und dem Volks- empfinden entsprechend stattgefunden haben, ohne Einwirkung durch die deutsche Regierung. Ich komme nun zu dem, was Balfour über die Kolonien sagt und zitiere ihn wörtlich: „Wir haben unser Gebiet ausgedehnt, wir haben Deutschlands Kolonien genommen, und ich glaube nicht, daß jemand, der deutsche koloniale Me- thoden wirklich studiert hat, überrascht wird, wenn wir sagen, daß die Besserung groß ist". Dann fährt er fort: „Soll man Deutschland die Kolonien zurückgeben und dadurch Deutschland Unterseebootbasen auf allen großen Handelsstraßen der Welt, und dadurch den Welthandel zu Deutsch- lands Verfügung stellen? Deutsche Herrschaft in den Kolonien würde tyrannische Herrschaft über die Eingeborenen bedeuten und die Ausstellung großer schwarzer Armeen in Zentralafrika“. Meine Herren! Das heißt mit andern Worten: England erobert ein Land, behauptet, es besser regieren zu können als sein rechtmäßiger Besitzer, und leitet daraus den Anspruch ab, es zu an- nektieren. Mit dieser Argumentation könnte man eine englische Monroedoktrin für die Welt erklären. Ich möchte die folgenden Fragen stellen: Weiß der englische Staatssekretär des Aus- wärtigen nichts von der Dezimierung der far- bigen Bevölkerung in den verschiedenen Kolonien Afrikas durch das Vorgehen der Entente, nichts von den im Unterhaus zugegebenen Zwangs- aushebungen in Britisch-Ostafrika, nichts von den riesigen Arbeiter= und Soldatenheeren aus eng- lischen und französischen Kolonien? Hat er sich bei seinen Kollegen vom englischen Kolonialamt erkundigt, was es bedentet, mit Eingeborenen gegen Eingeborene Krieg zu führen? Hat er eine Ahnung von dem unermeßlichen Scha- den für die koloniale Sendung aller Kulturvölker, der daraus entstehen muß, daß man Schwarze im Kampf gegen Weiße ver- wendet und nach Europa bringt? Zweifelt Herr Balfour ernstlich daran, daß das Schicksal ganz Afrikas besser gewesen wärc, wenn England die Kongo-Akte nicht mißachtet hätte? Hat er vergessen, daß Deutschland die einzige kriegführende Macht ist, die die Abschaffung des Militarismus in Afrika ausdrücklich unter ihre Kriegsziele auf- genommen hat? Ist Herr Balfour heute bereit, das gleiche für England zu versprechen und mit französischen Methoden und Churchillschen Plänen endgültig zu brechen? Meine Herren! Ich erwarte keine Antwort auf diese Fragen. Die Balfoursche Rede sollte nicht der staatsmännischen Aufklärung dienen. Die Khaki-Wahlen werfen ihren Schatten voraus! Die kurze Geschichte unserer Kolonien zeigt, daß wir weder in Afrika noch in der Süd- see aggressive Politik treiben wollten und ge- trieben haben. Wir erstreben keine Vorherr- schaft und kein Ubergewicht, wir wollen einen Ausgleich unter den Kolonialstaaten. Wir wün- schen eine Regelung der kolonialen Fragen nach dem Grundsatz, daß kolonialer Besitz den wirt- schaftlichen Kräften der europäischen Nationen entsprechen soll und ihrer in der Geschichte be- wiesenen Würdigkeit, die ihnen anvertranten far- bigen Bölker zu beschützen. Die wirtschaftliche Tüchtigkeit allein ist kein genügender Rechtstitel. Kolonisieren heißt Missionieren. Diejenigen Staaten, die nach diesem Grundsatz vor dem Kriege zu handeln bestrebt waren, die die Mensch- heit auch in den Farbigen achteten, diese Na- tionen haben das moralische Recht erworben,