Reichstag das Recht hatte, von sich aus einen Gegenkandidaten anzuerkennen und als solchen einzuberufen; es mußte vielmehr eine Neuwahl stattfinden. Ebensowenig war er berechtigt, einzelne Teile des Wahlverfahrens für ungültig zu erklären und andere als rechtsbeständig aufrecht zu erhaften, sodaß etwa eine Stichwahl mit einem anderen Kandidaten zu wiederholen wart). Der Reichstag selbst hat seine Ansicht über diesen Punkt im Laufe der Zeit vollkommen gewechselt, wie folgende beiden Fälle zeigen werden: 1869 wurde bei einer Ersatzwahl zwischen dem Rittergutsbesitzer Seiler und dem Schriftsteller Dr. Max Hirsch aus Berlin für ersteren 3653, für letzteren 2912 Stimmen abgegeben. 955 Stimmzettel, die Hirsch benannten, waren wegen ungenügender Bezeichnung beanstandet worden. Der erstere wurde daher vom Wahlkommissar als der Gewählte proklamiert, wie aber die Abteilung bei der Vorprüfung fest- stellte, zu Unrecht. Nun hatten die gegen die Wahl erhobenen Proteste noch verlangt, daß Hirsch als Abgeordneter einberufen würde. Die Meinungen über diesen Punkt gingen sehr weit auseinander, bis schließlich der Antrag angenommen wurde, den „Bundeskanzler aufzufordern, die nötigen Schritte zur sofortigen Proklamation des Dr. Hirsch als erwählten Depu- tierten des bezeichneten Wahlkreises zu tun.“ Die Regierung folgte diesem Antrag und Dr. Hirsch trat in den Reichstag ein. — Gänzlich andere Prinzipien befolgte dagegen der Reichstag im Jahre 1881 in folgendem Falle: In der Hauptwahl in einem Bromberger Wahlkreise waren in der Hauptsache für den Gutsbesitzer Hempel, für den Rittergutsbesitzer von Schenck, für den Rittergutsbesitzer Adolf von Koczorowski auf Dembno und für Adolf Koczorowski auf Debenke Stimmen abgegeben worden. Der Wahlkommissar erklärte (wie später festgestellt wurde, unbefugter Weise und zu Unrecht) die beiden letzteren für nicht identisch und rechnete die 1) So auch Laband, S. 338; Arndt S. 126; v. Seydel, Komm. S. 207 und Reichstag S. 386 und 393. Dagegen vor allem v. Rönne, Pr. Staatsr., S. 262, Anm. 1. 3½