12 Einleitung. Staaten von ungefähr gleicher Macht, die, durch die Gemeinsamkeit ihrer Interessen und ihrer Kultur verbunden, sich als grundsätzlich gleichberechtigt anerkennen und in stetem Verkehr miteinander stehen. Das Völkerrecht ist unverträglich mit dem Gedanken eines, sei es durch einen besonderen Bund mit der Gottheit, sei es durch eine überlegene und eigenartige Kultur „auserwählten Volkes“. Solange im Sinne des jüdischen wie des klassischen Altertums der Staatsfremde als Feind, als Ungläubiger oder als Barbar galt, konnte zwar ein Frem- denrecht, nicht aber ein Völkerrecht sich entwickeln. Das Völkerrecht ist aber auch unverträglich mit dem Gedanken einer Weltherrschaft, mag diese auch in kluger Politik das Sonderleben der unterworfenen Völkerschaften achten und erhalten, wie das im Altertum Rom schon getan hat. Daher war auch die Ausbreitung des Christentums, obwohl sie die unentbehrliche Grundlage einer gemeinsamen religiös-ethischen Anschauung schuf, doch nicht ausreichend für die Entstehung des Völkerrechts, solange die römisch-deutschen Kaiser und im Wettbewerb mit ihnen die römisch-katholische Kirche nach der Herrschaft über die gesamte Christenheit strebten. Es hat lediglich geschichtliches Inter- esse, den ersten Anfängen eines Völkerrechts ım Altertum und im Mittelalter nachzuspüren, die sich einzustellen pflegten, wenn im Kampf um die Weltherrschaft ein Stillstand und damit der friedliche Ver- kehr unabhängiger Staaten eingetreten war, die aber wieder verschwan- den, wenn der Zustand des Gleichgewichts aufs neue durch eine auf- strebende Weltmacht erschüttert wurde. 2. Ein nicht bloß episodisch geltendes Völkerrecht konnte daher erst entstehen, als sich mit dem Ausgang des Mittelalters neben dem Deutscher: Reich die großen und selbständigen, ihrer Souveränität sich - bewußten christlichen Staatswesen Europas (Spanien, Frankreich, Eng- land, Österreich, der skandinavische Norden) bildeten und entwickelten. Die Entdeckung der überseeischen Welt schuf zugleich eine bis dahin ungeahnte Fülle gemeinsamer Interessen, während das Vordringen der türkischen Herrschaft (1453 Eroberung von Byzanz) in den europäischen Staaten trotz aller Eifersucht das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärkte. Freilich bedurfte es noch langer und blutiger Kämpfe, um ein wenigstens labiles Gleichgewicht zwischen den europäischen Staaten zu schaffen. 1910. — Les fondateurs du droit international, leurs oeuvres, leurs doctrines. Avec une introduction de A. Pillet. 1904. (Eine Sammlung von Arbeiten über Vitoria, Gentilis, Suarez, Grotius, Zouch, Pufendorf, Bynkershoek, Wolf, Vattel, G: F. Martens.) — Die Carnegie-Stiftung veranstaltet, unter Leitung von Brown Scott, eine Ausgabe der „Klassiker des Völkerrechts‘‘. Der erste Band bringt Hollands Ausgabe von Zouch. 1911; der zweite Westlakes Ausgabe von Ayala. 1912.