133 bei all ihrer Anmuth und gefälligen Leichtigkeit der Form wie Volksballaden oder Schelmenliedchen, denen sie zum Theil wirklich nachgebildet sind. Wollen wir noch einmal die alte Kirche in ihren edelsten Er- zeugnissen, in ihrem schönsten Wirken auf Menschenherz und Menschen- phantasie belauschen, so müssen wir uns an die Kunst halten und die stille Werkstatt zu Colmar aufsuchen, worin Martin Schon- gauer malte und seine Kupferplatten gravirte. Martin Schongauer oder Martin Schön (geb. um 1420, gest. 1488) war unbedingt der größte deutsche Künstler des fünfzehnten Jahrhunderts. Er hat wie andere rheinische Maler jener Zeit von den Niederländern zu lernen gesucht und ist wahrscheinlich bei Ro- gier van der Weyden zu Brüssel in die Schule gegangen. Seine Farbe und ein gewisser Realismus der Formgebung zeigen, was er sich dort angeeignet. Aber den geistigen Gehalt, das Gefühl, hat er nach Brüssel schen mitgenommen und unversehrt von dort zurück- gebracht. Jene Mystik, die wir kennen, war in ein minnigliches Spiel mit dem Seelenbräutigam verlaufen, jene sanften Visionen und lieb- lichen Träume des frommen Herzens waren durch Gebete und Ge- dichte tief ins Volk gedrungen und auch dem deutschen Maler, ins- besondere am Rhein, nicht fremd geblieben. Auch in ihm ging jener Same der göttlichen Liebe auf, und die paradiesischen Seelen- zustände heiliger Einfalt und idyllischer Schwärmerei reizten auch die malerische Phantasie. So finden wir in der Kölner Maler- schule des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts eine Zartheit, eine Verklärung, eine überirdische Ergriffenheit, die ganz unbeschreiblich sind. Wie jene weltentrückten Gottesfreundinnen aussehen mechten in dem Augenblicke ihrer höchsten Verzückung, das können wir an den Bildern von. Meister Wilhelm und Stephan Lochner studiren, an diesen Madonnen voll Andacht und Hoheit, die nicht mehr auf goldenen Himmelsstühlen thronen, wie in der altchristlichen Kunst, sondern sich menschlich nahe auf grünen Rasenkänken unter bunten