271 baren und reichen, ja überreichen Wagnisse des Vorbildes gradezu ins unglaubliche gesteigert. Alle Dichter und Prosaisten des sechszehnten Jahrhunderte zeigen sich mehr oder weniger mit der Volkssprache und allem Volksthüm- lichen vertraut; Sprichwörter und sprichwörtlicher Ausdruck sind ganz gewöhnlich, die populären Derbheiten finden überall Eingang. Aber was sind alle anderen deutschen Schriftsteller in dieser Beziehung gegen Fischart! Die natürliche Popularität des sechszehnten Jahr- hunderts ist bei Fischart zu einem starken Trieb, dieser Trieb zu einem bewußten Streben, dieses Streben zu einer festgewurzelten Passion geworden. Fischart ist ein Sammler, er ist der älteste Samm- ler, der Volksthümliches bei sich einheimst und in bewundernder Freude aufhäuft. Er sammelt Sprichwörter, Kinderspiele, Volkslieder, er sammelt wunderliche und seltsame Benennungen der verschiedensten Gegenstände, er sammelt Merkwürdigkeiten der Volkssitte und Topo- graphie. Er hat ein wahres Curiositätencabinet des deutschen Volkes in seinem Geiste angelegt. Aber alle seine angesammelten Schätze und Kostbarkeiten find nicht in Schaukästen zierlich geordnet und zu behaglicher Betrachtung vor uns ausgelegt: sondern es ist, als ob alle diese — mit Fischart zu reden — „sternamhimmligen und sand- ammeerigen“ Raritäten bei nächtlicher Weile plötzlich toll geworden und in eine quecksilberne „fantastengreuliche" Bewegung gerathen wären. Fischarts Sprache im Gargantua ist schäumender Champagner. Sie muthet uns an wie jene Raketen, die hoch in die Luft auf- schwirren und oben in strahlende Garben von tausend Lichterchen und Sternchen zerstieben. Ein Satz der gewähnlichen Rede ist ein Wassertropfen. Bei Fischart sehen wir den Wassertropfen unter dem Sonnenmikroskop, zahllose wunderliche Gestalten werden da lebendig und fliegen, schwirren, rennen, tanzen, springen, wirbeln, taumeln, purzeln unter und über einander her: kaum daß man noch eine Ordnung, kaum daß man noch Zusammenhang entdeckt und daß man sich bewußt bleibt, man habe es mit einer fortschreitenden Erzählung zu thun.