Dreinndzwanzigstes Kapitel. Geistige Zwitterschaft. Zwitterschaft ist ein Ausrruck, den Goethe gebrancht, um das Wesen der Licentiaten Melbrüh in Arnolds Pfingstmontag zu be- zeichnen, der mangelhafte Bildung und sehr beschränkten Gesichts- kreis durch Affectation und vielfältige Einflechtung schlecht ausge- sprochener französischer Wörter und Redensart zu verhüllen sucht. Wir meinen nicht gerade dasselbe, aber Aehnliches, wenn wir uns hier die Bezeichnung Zwitterschaft für die geistige Cultur des Elsasses im neunzehnten Jahrhundert erlauben. Man kann auch geistig zwischen zwei Stühle zu sitzen gerathen und wir glauben, daß die Elsässer in diesen Fall gekommen sind. Zwar der Dichter Ehrenfried Stöber protestirte ziemlich heftig, als deutsche Zeitungen sich unter dem Eindruck der Freiheitekriege beigehen ließen, die Elsässer Zwittergeschöpfe zu nennen. Und er gab sich Mühe zu beweisen, daß man sehr wol im Hinllick auf alles Gute, was man Frankreich verdanke, mit Begeisterung französischer Bürger sein und dabei dennoch alles Große und Schöne, was Deutschlands Geister hervorgebracht, ehren könne. Politisch Franzose, geistig ein Deutscher: das wäre nach seiner Meinung etwa die For- mel des Elsässers. Und von ihm selbst hat man auf seinem Grabe gesagt: „Ein ganz französisches Herz schlug neben seiner deutschen Kunst.“ 29