Kriegerische Verwendung von Ersatzformationen der Feldtruppen 17 10. Chef des Generalstabes der Armee. Berlin, den 1. 7. 1910. Nr. 878. Geheim. Kriegerische Verwendung von Ersatz- sormationen der Feldtruppen. An das Kriegsministerium. Das letzte Kriegsspiel im Großen Generalstabe, dem die Annahme eines Krieges Deutschlands gegen Frankreich, Rußland und England zu- grunde lag, und die sich an dasselbe anschließende Große Generalstabs-Reise, in der ein englischer Einfall in Schleswig-Holstein behandelt wurde, haben klar gezeigt, daß wir in Notlagen auf ein alsbaldiges kriegerisches Mit- wirken der Ersatzformationen der Feldtruppen nicht verzichten können. Nur diese Ersatztruppen kommen wegen ihrer Zusammensetzung hierfür in Betracht. Wenn auch ihre kriegerische Verwendung als ein Übelstand und als ein Notbehelf angesehen werden muß, und wenn ich auch der Ansicht des Kriegsministeriums durchaus zustimme, daß es die eigentliche Aufgabe der Ersatzformationen ist, die Verluste der Feldtruppen erster Linie zu er- setzen, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß es ein verhängnis- voller Fehler sein würde, wenn man dieser Aufgabe zuliebe sich der Gefahr aussetzen wollte, geschlagen zu werden. Die Zahl unserer Feinde bei einem Koalitionskriege gegen Deutschland ist eine so große, daß es unabweisbare Pflicht für uns werden kann, in bestimmten Fällen von vornherein die gesamte wehrfähige Mannschaft des Reiches ihnen entgegenzustellen Alles kommt darauf an, daß wir die ersten Schlachten gewinnen; wenn dies gelungen ist, ist es wenig von Belang, wenn auch durch eine kriege- rische Verwendung die Ersatztruppen dauernd ihrer eigentlichen Aufgabe entzogen werden sollten. Diejenigen Ersatztruppen, die zur Abwehr einer feindlichen Landung verwendet werden müssen, würden übrigens nach einem Siege voraussichtlich ihrer Zweckbestimmung wieder zugeführt werden können. Notlagen, in denen die Oberste Heeresleitung auf Ersatztruppen für den Kampf zurückgreifen muß, können schon früh eintreten. Der Einfall englischer Landungstruppen in Schleswig-Holstein z. B. kann vom 15. Mo- bilmachungstage ab stattfinden. Müssen wir an unserer West= und an unserer ÖOstgrenze aufmarschieren, so können wir nicht in Schleswig- Holstein eine Armee zurücklassen, die der englischen gewachsen ist. Wir können ebensowenig aus dem planmäßigen Aufmarsch an der Ost= und Westgrenze eine entsprechend starke Armee herausziehen, um sie dorthin zu werfen. Wir gebrauchen unsere gesamte Macht, um an entscheidender Stelle im Östen oder Westen zu siegen. Von den planmäßig mobil werden- den Formationen darf daher nur soviel in Schleswig-Holstein zurück- Uckunden der Obersten Heeresleltung 1916—1918. 2