— 131 — Klause ist gefallen! Die Klause ist gefallen!“ Den Kaiser erfaßte Schrecken und Angst. Im Geiste sah er sich schon von Moritzens Scharen umringt. Niemand wußte zu rathen, niemand wußte zu helfen. In Innsbruck war kein Bleibens mehr. Eiligst ergriff man die nöthigsten Vorkehrungen zur Flucht, die in der rauhen und regne- rischen Nacht vom 22. bis 23. Mai ausgeführt wurde. Von körper- lichen Schmerzen gepeinigt, von Angst gefoltert, saß der Kaiser in einer Sänfte, deren Träger beim matten Lampenschein auf den un- ebenen Wegen unsichere Tritte thaten. Zuerst schlug man die Richtung nach Trient ein, wendete sich aber dann nach Villach in Kärnthen. Ein ergreifendes Schauspiel bot der 24. Mai dar. Dem frommen Dulder Johann Friedrich hatte der Kaiser am Abende vor seiner Flucht durch den König Ferdinand seine Freiheit angekündigt, jedoch den Wunsch zu erkennen gegeben, ihm jetzt noch zu folgen.) Am 24. Mai traf Johann Friedrich mit dem Kaiser zusammen. Wie hatte sich seit vier und zwanzig Stunden alles geändert! Freundlich, sogar mit entblößtem Haupte empfing ihn der Kaiser, reichte ihm die Hand und sagte: „Er wolle hinfort wieder des Kurfürsten, seiner Söhne und dessen Landen gnädigster Kaiser sein!“ So wandelbar ist des Menschen Loos. Was Karl vor fünf Jahren zu diesem edlen Kurfürsten sagte, da er als Gefangener vor ihm stand: „Seht, so weit kann Gott die Fürsten herabsetzen“, ging jetzt an dem Kaiser in Erfüllung. Beim Rückblick auf sein Verfahren gegen Deutschland entging ihm nicht, daß er sein Schicksal verschuldet hatte; reuevoll rief er aus: „Ich habe zu viel gethan."“ Außer dem Kaiser hatten auch alle seine Rathgeber und sein Hofstaat Heil in der Flucht gesucht. Ein Zeitgenosse schildert, viel- leicht mit Uebertreibungen, deren Flucht auf folgende Weise: „Die kaiserlichen hohen und niederen Beamten mußten alle zu Fuße laufen. Es war dabei nicht allein Nacht, sondern es war auch neblicht. Es war ein erbärmlicher Spektakel, daß die Ueberwinder von Deutsch- land sich so kümmerlich zu Fuße retten mußten. Da um des vielen Regens willen die Wege schlüpfrig und schmutzig waren, so daß nie- mand einen sicheren Tritt thun konnte, so fiel einer bald da, ein anderer bald dort in den Morast. Man mußte einander wieder auf die Beine helfen, der Herr dem Knechte, der Knecht dem Herrn, denn alle waren jetzt einander gleich.“ *) Am 28. August kehrte Johann Friedrich nach Weimar zurück. Der treue Zeuge des evangelischen Glaubens wurde überall mit Zeichen der innigsten Ehrfurcht und Liebe empfangen. Am 26. September traf er in seiner Residenz ein. Sein Einzug war ein Triumphzug. Johann Friedrich überlebte seine Freilassung nicht volle zwei Jahre. Am 3. März 1554 schloß er mit dem Gebete sein Auge im Tode: „Herr Gott, erbarme Dich mein um Deines Sohnes willen!“ 9*