— 172 — Im Jahre 1609 trat, wie oben erwähnt, jener Fall ein. Bei dem Tode des letzten Herzogs lebten aber noch drei seiner jüngeren Schwestern und eine Tochter der ältesten Schwester, welche an den Kurfürst von Brandenburg verheiratet war. Die Männer jener Schwestern machten nun Ansprüche auf einen Theil dieser Länder. Der Kurfürst von Brandenburg verlangte dagegen das ganze Land als Erbe, weil seine Gemahlin die Tochter der ältesten Schwester sei, und alle vier Parteien beriefen sich auf die Erklärung Karl V. vom Jahre 1546. Kurfürst Christian hatte offenbar die ältesten Ansprüche auf dieses Land und er machte sie auch bei dem Kaiser (Rudolph II.) sofort geltend. Dieser erkannte sie auch für richtig an und sprach im Jahre 1610 diese Erbschaft dem Kurfürsten von Sachsen feierlich zu. Allein der Kurfürst von Brandenburg hatte indessen mit noch einem andern Fürsten (Pfalzgraf von Zweibrücken) das Herzogthum mit Truppen besetzt. Da sich aber diese beiden Fürsten veruneinigten, ließ der Kaiser einstweilen auf diese Länder Beschlag legen. Christian II. hielt es bei der Rechtmäßigkeit seiner Ansprüche gar nicht für möglich, daß ihm das Herzogthum entgehen könne. Jetzt wäre es an der Zeit gewesen, den anderen Bewerbern gegenüber sein Recht mit den Waffen in der Hand durchzusetzen, aber dazu konnte er sich nicht entschließen. So herrlich auch die Friedensliebe als kostbare Perle in der Krone eines Fürsten glänzt, so hat doch auch diese Tugend eine Grenze. Sein wohlerworbenes Recht mit Waffengewalt zu wahren, war eine Pflicht, die sich Christian selbst und dem ganzen Sachsenlande schuldig war. Leider hatte er sich auch in seinem Vertrauen zum Kaiser getäuscht. Obgleich dieser die Rechte des sächsischen Kurfürsten an— erkannte, so traf er doch keine Anstalten, ihn zu dem Besitz jener Lande zu verhelfen. Man meint vielmehr, dem Kaiser habe selbst nach jenem Länderbesitz gelüstet. Wie würden sich z. B. die Kurfürsten Moritz und Vater August in diesem unglücklichen Erbstreite verhalten haben? Auf lange, zeit- raubende Unterhandlungen, die in den meisten Fällen zu nichts führen, hätten sie sich sicherlich nicht eingelassen, sie würden sich ohne weiteres an der Spitze ihrer tapferen Krieger erkämpft haben, was ihren Vor- fahren versprochen worden war. Kurfürst Christian II. protestirte nur, und das that er allerdings wiederholt, gegen jede fremde Be- setzung dieses Landes, indes es blieb erfolglos und die reiche Erbschaft mit einer Million Menschen ging für Sachsen verloren. Nur etwas erreichte Christian: Er erhielt den Titel und das Wappen dieses Landes. Bis zum Jahre 1806, als das Kurfürstenthum Sachsen vom Kaiser Napoleon zum HKönigreiche erhoben worden war, nannten sich die sächsischen Kurfürsten unter andern auch: Herzöge von Jülich-Cleve-Berg 2c.