— 221 — Solch ein Fest veranstaltete er an oben genanntem Tage dem englischen Gesandten. Des Kurfürsten Page, Heinrich Karl v. Grunau, hatte sich den Wein zu gut schmecken lassen und wußte nicht recht, was er vornahm. Er taumelte nach einer Schießscharte hinter der Christians- burg, kroch hinaus und legte sich auf einen schmalen, kaum eine Elle breiten Felsenrand, von welchem ihn eine kleine Wendung in den fürch- terlichsten Abgrund gestürzt haben würde; doch er lag im festen Schlafe. Als der Kurfürst sich zur Ruhe begeben wollte und seines Pagen bedurfte, suchte man ihn vergebens. Endlich bemerkte den Schläfer eine Schildwache, welche in dem Glauben, daß, wer so lange ruhig gelegen habe, auch noch länger also liegen werde, ganz gelassen dem Offiziere hiervon Meldung machte. Dieser sendete sogleich seinen Burschen, einen kräftigen Wenden, an die gefährliche Stelle, welcher den Schläfer beim Rockzipfel festhalten mußte, während der Offizier in der Burg Lärm machte. Man weckte den Kurprinzen und dieser den Kurfürsten, so daß der nicht lange entschlummerte Hof wieder lebendig war. Der Kurfürst gebot nun Stille in der Nähe des Schläfers und ließ Seile um ihn werfen, wobei der Kurfürst und der Kurprinz selbst mit Hand ans Werk legten. Nachdem alle Gefahr beseitigt war, ließ der Kur- fürst Trompeten und Pauken bringen und einen Tusch blasen. Als- bald erwachte der Schläfer langsam und meinend, er sei im Tanz- saale eingenickt, rief er mit halboffenen Augen: „Schönberg, ich komme gleich!“ welcher Herr v. Schönberg mit ihm als Kammerpage Dienst gehabt hatte. Als er aber unter fortwährendem Trompeten= und Paukenlärm die Augen ganz öffnete, den Himmel über sich, den Ab- grund unter sich, den Kurfürsten und die übrigen Zuschauer erblickte, und sich am ganzen Körper gefesselt fühlte, stammelte er die Worte hervor: „Kurfürstliche Durchlaucht! Kurfürstliche Durchlaucht!“ Endlich, nachdem man ihn lange genug „zappeln“ gelassen und sich satt gelacht hatte, zog man ihn, wie einen geschnürten Koffer durch die Schießscharte herein und befreite ihn von seinen Rettungsbanden. „Da hob der Page fast sehr zu weinen an, warf sich seinem Herrn zu Füßen, bat ihn um Verzeihung, daß er über den Durst getrunken habe und versprach, hinfort durch die Kammerthüren, aber nicht durch Schießscharten schlafen zu gehen.“ Der Kurfürst befahl, die Stelle Pagenbette zu nennen. Unter Johann Georg III. erfuhr Grunau als Kammerjunker eine zweite merkwürdige Lebensrettung. Als er über die Dresdner Elbbrücke ritt, wurde das Pferd scheu und setzte mit dem Reiter über das steinerne Geländer’) in die Elbe, aus welcher er ohne allen Schaden sich glücklich ans Ufer rettete. · *) Das jetzige schöne Eisengeländer erhielt die Brücke unter August dem Starken.