— 256 — rettete hier von seinen auserlesenen Truppen kaum 200 Mann. Was in dieser verzweiflungsvollen Lage weiter thun? In Rußland war für Karl kein Bleibens mehr. Mit dem kleinen Reste seines Heeres eilte er der Türkei zu, wo ihm der Sultan, hocherfreut gegen diesen berühmten Helden das Gastrecht üben zu können, eine sichere Zufluchtsstätte gewährte. Unerklärlicherweise dehnte Karl seinen Aufenthalt in der Türkei auf 5 Jahre aus. Während der sonst so gefürchtete schwedische „Löwe“ hier entkräftet und gefesselt weilte, schöpften seine Feinde neuen Muth zur gänzlichen Besiegung desselben. Zunächst trat in Polen eine gänzliche Wendung der Dinge ein. Im August 1709 brach unser Kurfürst an der Spitze von 15000 Mann nach Polen auf, um sich wieder in Besitz des ihm verloren gegangenen Thrones zu setzen. Mit ziemlicher Gewißheit konnte er auf einen günstigen Erfolg hoffen, da ihn eine mächtige Partei in Polen zur Rückkehr aufforderte und da abermals Dänemark, Rußland und diesmal auch Preußen auf seiner Seite standen. König Stanislaus ergriff die Flucht. In Polen konnte dieser nichts mehr schaffen, aber desto mehr hoffte er in Sachsen ausrichten zu können. Mit 9000 Mann gedachte er in unser Vaterland einzufallen. Diese Schreckensbotschaft setzte die Einwohner in neue Angst. Gegen ein Heer hätte Stanislaus nicht zu kämpfen gehabt, da sich dasselbe in Polen befand; aber so ganz wehrlos sollte er unser Vaterland doch nicht vorfinden. Es wurde nämlich ein Aufgebot an die waffenfähigen Männer erlassen, welche als Landsturm dem eindringenden Feinde Widerstand leisten sollten. Mit Aexten, mit Heu— gabeln, mit Spießen bewaffnet, standen 84 000 Mann bereit, einen Kampf mit 9000 Soldaten aufzunehmen. Zum Glück für das geängstigte Land ließ es Stanislaus bei der bloßen Drohung bewenden. Der Landsturm konnte sich wieder auflösen und seiner Hantierung nachgehen. Zwar sah unser Kurfürst sein Haupt wieder mit Polens Königs- krone geschmückt, allein sehr bald schwankte sie wieder; — und wer rüttelte diesmal an derselben? Die Polen. (Im November) 1714 erschien nämlich Karl XII. ganz unerwartet wieder unter seinen Schweden. Wie mit einem Zauberschlage entzündete seine Gegenwart in den Reihen seiner Krieger den alten Muth aufs neue, und zum Unglück für Friedrich August schöpften auch die Anhänger des ver- triebenen Königs Stanislaus neue Hoffnungen. Jetzt galt es, ihre Partei soviel als möglich zu verstärken. Zu diesem Zwecke hatten sie sich ein höchst wirksames Mittel ausgesonnen. Seit Friedrich Augusts Thronbesteigung, namentlich aber seit 1709, hatte Polen viel sächsische Truppen zu erhalten. Die Erhaltung einer sächsischen Armee, meinten Friedrich Augusts Gegner, ist für unser Land eine große Last. König Stanislaus führt uns keine fremden Truppen zu; wer sich für ihn erklärt, hilft unser Land von fremden Truppen befreien. Dies wirkte.