— 276 — Unsere Fürsten hatten in verschiedenen Theilen Sachsens sehr oft mit großem Aufwande eine nicht geringe Anzahl Jagdschlösser zu unterhalten. Nach und nach ließ man manche derselben eingehen oder sie zu anderen Zwecken verwenden. Das vom Kurfürst Christian I. erworbene Jagdschloß in Waldheim erhielt ebenfalls eine andere Be- stimmung, indem man hier nach Ostern 1716 das erste allgemeine Zuchthaus eröffnete.) Gegen Ende desselben Jahres führte man dem neuen Zuchthause einen Züchtling höchst sonderbarer Art zu, und zwar ein überspanntes Mädchen, Anna Sophie Apitzsch aus Lunzenau. Ihr Vater war Zeugmacher und lebte mit den Seinigen in ziemlich drückenden Ver- hältnissen. Diese Lage gefiel seiner Tochter durchaus nicht. Sie wollte hinaus in die Welt und auf gut Glück ihr Heil versuchen. In Mädchenkleidung getraute sie sich nicht, ihre abenteuerlichen Pläne ausführen zu können. Jene wurde deshalb mit Mannskleidern ver- tauscht, und nun nahm das planlose, unstäte Leben seinen Anfang. Die überspannte Apitzsch mochte sich in ihrer Verkleidung selbst ge- fallen, denn sie gab einen ganz stattlichen Burschen ab, und in der That vermochte diese Gaunerin ihre verstellte Rolle so geschickt und gewandt zu spielen, daß sie sich auf ihren Streifereien nicht verrieth und im Auslande sogar einen Monat hindurch als Soldat diente. Hierauf wandte sie sich wieder nach Sachsen und wählte zunächst Elterlein zu ihrem Aufenthaltsorte, wo sie sich bei einem Bäcker niederließ. Durch ihr feines, gewandtes Wesen erregte sie bei den schlichten Bewohnern jenes Ortes sehr bald die allgemeinste Aufmerk- samkeit. Wenn auch nicht mit klaren Worten, so bestärkte sie doch durch allerlei Kniffe die Leute in ihrem Irrthum und ließ es still- schweigend zu, daß man sie für eine hohe, vornehme Person hielt, welche unerkannt das Land durchreisen wolle. Allmählich wurde sie in ihren Täuschungen frecher. Unter dem Anschein eines Geheimnisses sprach sie gegen einzelne von fürstlichen Eltern, setzte aber schlau hinzu, daß sie jetzt noch ein Eid binde, ihre Abstammung zu ver- öffentlichen. „Das ist niemand anders, als der Kurprinz selbst", hieß es bald, „der das Land heimlich durchreist, um sich von dem Zustande desselben zu überzeugen.“ Welche Wendung war auf einmal in dem Schicksale der armen verschmitzten Weberstochter eingetreten! Mit tiefer Ehrfurcht nahte man sich dem vermeintlichen Kurprinzen und gab ihm auf alle Weise seine Hochachtung kund. Zwar erklärte sich die schlaue Apitzsch nicht selbst für den Kurprinzen, nannte sich aber ein Kind aus dem Hause Sachsens und nahm die Ehrenbezeugungen ruhig hin. Einigen *) Das damit zugleich verbundene Armen= und Waisenhaus wurde später wieder aufgehoben.