— 302 — So erfuhr denn unser Gellert an sich selbst, wie wahr Sirachs Wort sei: „Wer dem Herrn vertraut, dem wird nichts mangeln.“ In diesem Vertrauen auf seinen Gott stärkte er sich besonders am Tage des Herrn. Mit der innigsten Andacht sah man ihn, wenn ihn nicht Krankheit verhinderte, jeden Sonn- und Festtag inmitten der versammelten Gemeinde. Ueber die Feier des Sonntags sprach er sich also aus: „Am Tage des Herrn sich von allen irdischen Ge— schäften losreißen, sein Herz prüfen, zum Himmel erheben, dasselbe mit den Wahrheiten des Glaubens nähren und stärken, heißt: dasselbe auf die ganze Woche stärken und sich auf die rechtschaffene Ausübung seines Berufes vorbereiten. Wer den Sonntag würdig feiert, wie könnte der wohl die übrigen Tage der Woche unwürdig zubringen? Vergiß an diesem Tage die Kleinigkeiten der Erde, genieße an ihm die Wohlthaten Gottes, das Glück frommer Freunde und die Freuden der Natur.“ Der „Genuß der Wohlthaten Gottes“ war ihm besonders lin— dernder Balsam bei seinen schweren Körperleiden. Von Jugend auf besaß Gellert einen sehr schwächlichen Körper, welcher mit den Jahren immer leidender wurde, zumal, da sich Gellert schwer entschließen konnte, sein anhaltendes Studiren und Arbeiten zu beschränken. Mit der innigsten Theilnahme verfolgte unser Kurfürst (Friedrich August der Gerechte) das Geschick seines berühmten Professors und als er hörte, daß das von den preußischen Prinzen ihm geschenkte Pferd gestorben sei, so schickte er ihm das sanfteste aus dem kurfürstlichen Marstalle, „bedeckt mit Schabracke, Sattel und prächtigem Geschirr“. Doch der arme, kranke Biedermann konnte sich der seltenen Aus— zeichnung nicht von Herzen erfreuen: ihn drückte täglich mehr dar— nieder der Krankheit Joch, das Körper und Geist ihm lähmte. Mit gottergebenem Sinn rief der fromme Dulder aus: „Was sind diese Leiden, wenn ich sie mit denen vergleiche, welche mein Erlöser erdul— dete. Und mich Unwürdigen ehrt mein Fürst.“ Im Dezember 1769 erkrankte Gellert lebensgefährlich. Der um ihn höchst besorgte Kurfürst sandte seinen Leibarzt ab, daß er Hilfe brächte, wenn es möglich wäre. Allein die Mittel der Kunst fruchteten nichts — Gellert verschied am 18. Dezember 1769. Unglaublich war die Theilnahme und Trauer, die dieser Tod in ganz Deutschland hervorrief, und allenthalben „ertönten Trauergesänge, wurden Denk- mäler dem gefeierten Verklärten errichtet." Zwar hat das Denkmal, welches sich Gellert in den Herzen seiner Freunde und Verehrer für alle Zeiten gesetzt, einen höheren Werth, als ein Monument von Erz und Stein; allein Liebe und Dankbarkeit will auch der Nachwelt das Andenken an verdienstvolle Männer in sichtbaren Malzeichen erhalten. Ein derartiges Denkmal an unsern frommen Gellert hat nicht blos Leipzig in seiner Johanniskirche auf-