— 381 — Rheinbundes hatten ihre Truppen mit dem französischen Heere ver— einigt. Eine halbe Million Streiter harrte des Winkes eines Mannes, um Familie und Vaterland zu verlassen und hinzuziehen in den fernen Nordosten. Da die Hauptstraße durch unser Sachsen ging, so bewegten sich auf derselben unabsehbare Kriegermassen. Schon im April 1812 begannen diese Züge und wiederholten sich in den Monaten Mai und Juni. Die nie gesehene Pracht der ruhmbedeckten Kaisergarden und die auserlesene Reiterei mit ihrem wundersam gekleideten Obergeneral, dem König Murat von Neapel, setzte alles in Erstaunen. Und endlich erschien er selbst, der gewaltigste Mann seiner Zeit, der Kaiser Napoleon. Alle, die Gelegenheit fanden, ihn von Angesicht zu schauen, bemerkten auf seinem Antlitz einen tiefen Ernst lagern, gleichsam als hätte seine Seele eine dunkle Ahnung von der Vergänglichkeit aller irdischen Macht und Herrlichkeit durchzogen. Am 12. Mai nachts zwischen 11 und 12 Uhr traf der Kaiser mit seiner Gemahlin unter Kanonendonner und Glockengeläute in Dresden ein. In seinem und seiner Gemahlin Gefolge befanden sich Herzöge, Grafen, ein Erzbischof, im Ganzen 223 Personen! Bald darauf erschienen in Dresden der Kaiser und die Kaiserin von Oesterreich, der König und der Kronprinz von Preußen, der König und die Königin von Westfalen, außerdem der Vicekönig von Italien, ein Großherzog, Erzherzöge und Herzöge. Da ward eine Pracht und Herrlichkeit entfaltet, wie sie Dresden wohl in dieser Weise noch nie gesehen hatte, und das alles geschah zu Ehren eines Mannes, dem damals Alle noch in Ehrfurcht huldigten und dessen Macht man für unbesiegbar hielt. Menschen waren freilich nicht im Stande, diesen scheinbar All- gewaltigen von seiner Höhe zu stürzen. Aber der Herr aller Herren „übet Gewalt mit seinem Arm und stößet die Gewaltigen vom Stuhl". Sieben Monate später finden wir diesen scheinbar Allgewaltigen wieder in Dresden, diesmal aber auf der Flucht und wie mit einem Zauberschlage seiner Herrlichkeit entkleidet. Ende Mai verließ Napoleon Dresden; er reiste über Bautzen nach Schlesien und traf hier mit seiner großen Armee zusammen. Unter ihr befanden sich 22 000 Sachsen, außerdem hatte unser Land 7000 Pferde und 70 Kanonen liefern müssen. Am 22. Juni erließ Napoleon die Kriegserklärung gegen Ruß- land und betrat nun mit seiner Armee den russischen Boden. Unsere Landsleute standen bei dem rechten Flügel der Franzosen. Ein großer Theil Sachsen wurde am Bug zurückgelassen, um den Rücken des Hauptheeres zu decken. Unerwartet sahen sich hier 2500 Sachsen von einer ungleich stärkeren Abtheilung Russen an- gegriffen. Trotz aller Gegenwehr trieb man sie so in die Enge, daß der größte Theil in Gefangenschaft gerieth. Eine andere Abtheilung