— 383 — Feinde, tiefer Schnee, wüthende Kälte rafften Krieger und Pferde zu Tausenden hin. „Ein Bissen Brot oder Fleisch, ein Plätzchen am Feuer im freien Felde wurde mit Geld bezahlt.“ Die Heeres- straße glich einem schreckenerregenden Leichenwege, den krächzende Krähen und heulende Hunde umschwärmten. Ende November erreichte die fliehende und zusammengeschmolzene Armee die Beresina, einen Nebenfluß des Dnieper. Dieser Fluß mußte überschritten werden. Hätte ein russischer Anführer Napoleons Feldherrntalent besessen, so wären hier die Franzosen bis auf den letzten Mann aufgerieben worden. Zunächst ließ Napoleon zwei Brücken über den Fluß schlagen, die eine für das noch sehr bedeutende Fuhrwerk, die andere für die Infanterie. Am 26. November konnte nur ein sehr kleiner Theil den Fluß überschreiten, weil die Brücken erst spät fertig wurden. Bei Anbruch des 27. eilten die Marschälle und Generäle, unter dem steten Feuern der Russen zuerst über die Brücke. Eine starke Abtheilung der Franzosen, unter ihnen auch die Sachsen, mußten den Uebergang über die Brücke decken und dem feindlichen Feuer sich bloßstellen. So mußte der kleine Rest von den schönen sächsischen Regimentern an der Brücke zwei lange Tage, den 27. und 28. November, ausharren, den Glücklichen, welche entkamen, zusehen und den Kugelregen der russischen Geschütze ertragen. „Der Rückzug über die Brücken geschah übrigens in schauderhafter Unordnung. Jeder wollte zuerst hinüber; ein unbeschreibliches Gedränge entstand; aller Gehorsam hörte auf; der Gemeine stieß den Offizier, der Bruder den Bruder von der Brücke hinab ins Wasser, um nur Platz für sich zu gewinnen. Artillerie, Bagage, Reiterei — Alles ging durch einander; Hunderte wurden im Nu von den Wagen und Pferden erdrückt, oder von den schmalen Brücken hinabgeworfen. Furchtbares Hilfeschreien, Klagegestöhn und Getöse! Grausenvolles Blutbad, das die russischen Kanonen auf den Brücken anrichteten! Endlich am 28. November, mittags, durften auch die Sachsen ihre Stellung verlassen und über die Brücke gehen; aber die Brücke ward zu früh abgetragen; viele geriethen noch in russische Gefangenschaft oder fanden den traurigsten Tod. Ein ähnliches, grausenvolles Schauspiel als diesen Uebergang findet man kaum irgendwo in der Kriegsgeschichte.“ Acht Tage noch weilte Napoleon bei seinem fast aufgeriebenen Heere, dann eilte er über Warschau zunächst nach Dresden. Es war den 14. Dezember nachts, als in Dresden ein schlecht verwahrter Schlitten bei dem französischen Gesandten (Loß'sches Palais auf der jetzigen Kreuzstraße neben der reformirten Kirche) anhielt. Aus demselben stieg, in einen dichten Mantel gehüllt, ein Mann, auf dessen Antlitz eine eisige Ruhe lagerte. Diese ungewöhn- liche Erscheinung zur ungewöhnlichen Zeit war niemand anders, als der Kaiser Napoleon. Am andern Tage bewillkommnete ihn unser König, und abends 6 Uhr verließ der Kaiser Dresden, um nach Paris zurückzueilen.