8 Erster Abschnitt. (8. 1.) Verwaltung erschöpft sich aber nicht in der delegierten Ausübung staatlicher Hoheits- rechte. Wie die Verwaltung des Staates selbst neben der Ausübung von Herrschafts- rechten zur Erfüllung der Staatszwecke eine umfassende Thätigkeit auf rein wirtschaftlichem Gebiete erfordert, so ist eine solche auch integrierender Bestandteil der Selbstverwaltung. Die Selbstverwaltung umfaßt alles dasjenige, was erforderlich ist, damit der Selbst- verwaltungskörper die ihm vom Staate gestellten Aufgaben erfülle. Hierzu gehört vor allem seine wirtschaftliche Erhaltung, auch sie liegt also im Interesse des Staates.1 Umgekehrt begrenzt der Staatsauftrag auch nach der negativen Seite hin sachlich den Wirkungskreis der Selbstverwaltungskörper: sie können als nicht souveräne Gemein- wesen ihre Kompetenz nicht über die ihnen gezogene Grenze hinaus erweitern — allein der Staat hat einen sachlich unbeschränkten Wirkungskreis. Welche Staatsgeschäfte im einzelnen Gegenstände der Selbstverwaltung sind, ergiebt sich allein aus den positiven Vorschriften des jeweilig geltenden Rechts. Die Abgrenzung von Staatsverwaltung und Selbstverwaltung richtet sich bald nach der historischen Ent- wickelung eines Rechtsinstituts, bald nach dem Kulturzustande der Bevölkerung, bald nach den zeitigen Anschauungen über die bestmöglichste Verwirklichung der Staatsaufgaben.? Als allgemeines Merkmal der Selbstverwaltungsgegenstände läßt sich nur dieses angeben, daß sie „einer individualisierenden und lokalisierenden Behandlung fähig und bedürftig sein müssen“.3J Verwaltungszweige, welche wie die auswärtigen Angelegenheiten, das z. Z. des polizeistaatlichen Staatskirchentums, wie es uns im A. L. R. entgegentritt, existierte die Kirche nur im Interesse des Staates, nicht für sich selbst; sie galt „als eine den staatlichen Zwecken dienende Erziehungs-= und Polizei-An- stalt“. Sie war daher verpflichtet, ihre Thätig- keit in den Dienst des Staates zu stellen, ihren Mitgliedern außer der Ehrfurcht gegen Gott, Gehorsam gegen die Gesetze, Treue gegen den Staat und sittliche gute Gesinnung gegen ihre Mitbürger einzuflößen, und der Staat behielt sich vor, zu prüfen, inwieweit die von den ein- zelnen Kirchengesellschaften gelebrten Religions- grundsätze zur Erreichung dieser seiner Zwecke geignet sind. (§§. 13—15. A. L. R., II, 11.) ie damaligen Kirchengesellschaften hätte man um der Art ihrer Thätigkeit willen schon als Selbstverwaltungskörper in unserm Sinne be- zeichnen können, hätte der Polizeistaat ihnen nur auch Selbständigkeit innerhalb des ihnen anvertrauten Geschäftskreises eingeräumt. Heute ist das Verhältnis von Staat und Kirche ein anderes. Der moderne Staat erkennt an, daß die Kirche eine von ibm verschiedene, nicht durch seinen Willen und nicht lediglich in seinem Inter- esse bestehende Macht ist, welche ihre eigenen Lebenszwecke zu verfolgen hat. Die Kirchengesell- schaften verrichten heute keine Staatsgeschäfte, daher sind auch Kirchen= und Religionsgesell- schaften staatsrechtlich keine Selbstverwaltungs- körper. Vgl. hierüber bes. Rosin, Offentl. Ge- nossensch., S. 35 ff.; Hänel, S. 150 ff.; Ulbrich, a. a. O., S. 18; Gluth. S. 104, daselbst Anm. 5 richtige Bemerkungen gegen Gaupp, welcher anderer Ansicht ist. 1 Laband, S. 97; Rosin, Souveränetät, Staat u. s. w., in Hirtbs Ann., S. 311, 312; a. A. Gareis, der mit obigem insofern überein- stimmt, als auch nach ihm die Selbstverwaltung nie „Eigenverwaltung“ ist, „d. h. nicht Verwaltung eigener Interessen des Verwaltenden, sondern stets ein Stück Staatsverwaltung“. Er rechnet die Vermögensverwaltung der Selbstverwal- tungskörper nicht zur Selbstverwaltung, son- dern stellt sie dieser als „Eigenverwaltung“ gegenüber. Gleichzeitig giebt er aber zu, daß auch der Staat an der Verwaltung eines nicht ihm, sondern einem Selbstverwaltungskörper ehörenden Vermögensobjekts ein Interesse haten kann und daß, falls der Staat die Ver- tretung seiner eigenen Interessen an der Ver- waltung dieses Vermögensobjekts dem an der- selben zunächst interessierten Gemeinwesen über- trägt, Eigenverwaltung und Selbstverwaltung sich vereinigen können. Meiner Ansicht nach bat nun aber der Staat nicht nur an der Verwal- tung einzelner Vermögensobjekte, „z. B. des Stadtwaldes, oder der Gemeindewiese, oder der Kreisstraße, oder des Provinzialkrankenhauses“, sondern an der Erhaltung, des ganzen Ge- meindevermögens schon im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Gemeinden ein erheb- liches Interesse, was er selbst dadurch erkannt bat, daß er sich ein Bestätigungsrecht aller wichtigeren die Finanzverwaltung betreffenden Gemeindebeschlüsse vorbehalten hat. In jeder Eigenverwaltung im Sinne Gareis 'liegt daher ein Stück Selbstverwaltung, und eine Trennung der Gemeindeverwaltung in Eigen= und Selbst- verwaltung scheint undurchführbar. 2 Oft sind auch politische Rücksichten maß- gebend. Die starke Durchsetzung einzelner Ge- bietsteile des Staates mit fremden, staatsfeind- lichen Volkselementen kann es angezeigt er- scheinen lassen, hier von einer Ubertragung der Staatsgeschäfte und einer Ausdehnung der Selbstverwaltung abzusehen. (Posen!) * Hänel, S. 136; v. Stengel, Organisa- tion, S. 15: Gneist, Rechtsstaat, S. 41: „Es sind die Funktionen der örtlich thätigen Staats- gewalt, die sich zu einer Handhabung durch das Personal und die Steuermittel des Nachbar- verbandes eignen, mit Ausschluß derjenigen, welche sich dazu nicht eignen.“ G. Mever, St. R., S. 298.