Ortsgemeinben; geschichtliche Entwickelung der Ortsgemeinden. (6. 9.) 35 S. 9. VI. Die Gemeindeordnung von 1850.1 A. In der alten preußischen Monarchie bestanden die beiden Städteordnungen von 1808 und 1831 nebeneinander bis zum Jahre 1850. Auch damals wurden sie nicht beseitigt, weil ihre Vorschriften sich als unpraktisch erwiesen hatten oder veraltet waren und den neuen Anforderungen nicht mehr entsprachen, sondern sie fielen lediglich den revolutionären Strömungen jener Zeit zum Opfer. Der Sieg des auf dem beweglichen Kapitalbesitze beruhenden Liberalismus über den Konservativismus, welcher im Grund- besitze seine Hauptstütze findet, rief im Jahre 1848 das Bestreben hervor, die Ver- fassung aller Gemeinden, der ländlichen wie der städtischen, gleichmäßig auf den Kapital- besitz zu gründen und eine auf diesen Prinzipien beruhende Gemeindeordnung für Land und Stadt zu schaffen. « BisherwarderhistorischbegründeteUnterschiedzwischenStadtiundLandgemeinde, welcher nicht nur in der verschiedenen Größe beider, sondern auch in der ganz ver- schiedenen Art des Besitzes ihrer Bewohner besteht, in der Verschiedenheit der Verfassung beider hervorgetreten. In den Städten war eine Vertretung der Gemeindemitglieder durch Repräsentanten, auf dem Lande die Teilnahme aller Stimmberechtigten üblich; dort war ein kollegialisch organisierter Vorstand, hier nur ein einzelner Vorsteher; dort fand die Abstufung der Rechte nach einem Census oder dem Einkommen, hier nach dem Grund- besitze statt. Jetzt wurde dagegen von der Reformpartei geltend gemacht, der Unter- schied zwischen beiden Gemeinden habe allein in den gewerblichen Vorrechten der Städte gelegen, und diese seien durch die Gesetzgebung längst beseitigt. Vor allem aber könne ras Bewußtsein der staatlichen Einheit und Zusammengehörigkeit nicht gekräftigt, ein gemeinsames politisches Staatsleben nicht erreicht und befestigt, eine gleichmäßige Be- teiligung an den wichtigsten politischen Rechten nicht erzielt, namentlich ein zweckmäßiges Wahlgesetz nicht mit überall gleichmäßigen Resultaten durchgeführt werden, solange nicht für das Gemeinderecht aller Provinzen und Gemeinden eine einheitliche Grundlage ge- wonnen sei. Nachdem zuvor im Jahre 1848 ein von der Staatsregierung der Nationalversamm- lung vorgelegter Gemeindegesetzentwurf, welcher eine einheitliche Regelung der Gemeinde- verhältnisse bezweckte, gar nicht zur Beratung gekommen war, stellte die Verfassungs- urkunde v. 5. Dez. 1848 in Art. 104 gewisse Grundsätze fest, welche für die Ver- fassung aller Gemeinden, Kreise, Bezirke und Provinzen maßgebend sein sollten. Diese wurden mit einigen Modifikationen in den Art. 105 der Verfassungsurkunde v. 31. Jan. 1850 aufgenommen, wo sie folgenden Ausdruck gefunden haben: 1) Über die inneren und besonderen Angelegenheiten der Gemeinden beschließen aus gewählten Vertretern bestehende Versammlungen, deren Beschlüsse durch die Vorsteher der Gemeinden ausgeführt werden. Die Beschlüsse bedürfen in gewissen vom Gesetz näher angegebenen Fällen der Genehmigung einer höheren Vertretung bezw. der Regierung. 2) Über die Beteiligung des Staates bei der Anstellung der Gemeindevorsteher und über die Ausübung des der Gemeinde zustehenden Wahlrechtes soll die Gemeinde- ordnung das Nähere bestimmen. « 3) Der Gemeinde steht die selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten unter gesetzlich geordneter Oberaufficht des Staates zu. Über die Beteiligung der Gemeinden bei Verwaltung der Ortspolizei? bestimmt das Gesetz. 4) Die Beratungen der Gemeindevertretungen sind öffentlich, jedoch kann das Gesetz Ausnahmen hiervon zulassen. Über die Einnahmen und Ausgaben muß wenigstens jährlich ein Bericht veröffentlicht werden. 1 Von Litteratur ist nur zu erwähnen: v. 2 Die Verfassung von 1848 hatte diese zu Rönne, Die Gemeindeordnung v. 11. März 18500 den Gemeindeangelegenheiten gerechnet. (Brandenburg a. d. H., 1850). Vgl. auch Strutz, 5s. 6, und Schoen, a. a. O., S. 793—800. 3*