70 Zweiter Abschnitt. (8. 17.) §. 17. II. Rechts= und Handlungsfähigkeit der Ortsgemeinden. „Jede Stadtgemeinde bildet eine Korporation, welcher die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten nach näherer Vorschrift dieses Gesetzes zusteht.“ Diesen Satz stellt die Städteordnung für Schleswig-Holstein an ihre Spitze, den anderen städtischen Verfassungs- gesetzen ist er seinem Inhalte nach zu Grunde gelegt — in ihm ist die juristische Per- sönlichkeit und damit die Rechtsfähigkeit, wie auch eine Willens= und Handlungsfähigkeit der Städte anerkannt. Den Städten stehen in allen diesen Beziehungen die Land- gemeinden gleich. Die neuen Landgemeindeordnungen bezeichnen sie als „öffentliche Korporationen“, denen „das Recht der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten“ nach den Vorschriften der Gesetze zusteht. I. Die Rechtsfähigkeit ver Gemeinde tritt in dreifach verschiedener Richtung zu Tage, je nachdem sie anderen selbständigen ihr koordinierten Rechtssubjekten, oder ihren eigenen ihr subordinierten Gliedern, oder endlich einem höheren ihr übergeordneten Ganzen als Trägerin von Rechten und Pflichten gegenübertritt. 1) Die erste Richtung, bei welcher die Gemeinde als Individuum anderen In- dividuen — phnysischen oder juristischen Personen — gegenübertritt, umfaßt vornehmlich ihre privatrechtlichen Beziehungen; in diesen ist sie, abgesehen davon, daß ihr der Natur der Sache nach die individuellen Familienrechte fehlen, im wesentlichen den Einzelpersonen gleichgestellt. Auf dem Gebiete des Vermögensrechtes sind die Gemeinden im vollsten Umfange rechtsfähig: sie können Eigentum und andere dingliche Rechte haben, in alle obligatorischen Rechtsverhältnisse treten, zu Erben und Legataren bestellt werden, dabei werden sie ebenso wie alle anderen juristischen Personen behandelt?, als besonderes Privileg kommt ihnen nur noch im Gebiete des gemeinen Rechtes die restitutio in in- tegrum gegen eine wider sie abgelaufene Verjährungsfrist zu.3 Ferner sind die Ge- meinden solcher Rechte an der eigenen Person fähig, welche teils überhaupt nicht, teils wenigstens nicht ausschließlich Vermögensrechte sind, sie haben einen Namen, einen Stand und Rang", einen Wohnsitz und ein Indigenat, sie führen Siegel und Wappen, sie können eine Handelsfirma und für ihre gewerblichen Produkte eingetragene Handels- marken führen, Urheber= und Erfinderrechte sind ihnen zugänglich, und im Besitze aller dieser Rechte werden sie ebenso wie Einzelpersonen geschützt. Endlich sind die Gemeinden auch von gewissen Rechten publizistischen Inhaltes, wie besonders vom Patronatsrechte, nicht ausgeschlossen. - 2) Die zweite Kategorie von Rechten und Pflichten, deren jede Gemeinde fähig ist, ergiebt sich aus ihrer Stellung gegenüber ihren Gliedern. Jede Gesamtperson hat gewisse 1 Zum Folgenden vgl. besonders Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Recht- sprechung (Berlin 1887), S. 141—174. Siehe auch Leidig, S. 191 ff.; v. Möller, St., 38. 77, 85; derselbe, L., §§. 57, 60; Steffenhagen, 65. 21. 2: Es kommt hier in Betracht: a) daß im Gebiet des A. L. R. die Berjährung durch Be- fitz geten sie erst in 20 Jahren abläuft (I, 9, 8. 624), daß ferner der einer Gemeinde durch Verfügung unter Lebenden (Schenkung, Ber- grag) Überwiesene Nießbrauch sowie der durch Legat ihr vermachte Nießbrauch, welcher in zu gewissen Zeiten wiederkehrenden Hebungen be- steht, eine unbeschränkte Dauer hat, ein anderer auf Vermächtnis beruhender Nießbrauch einer Gemeinde dagegen nach 50 Jahren endet. (1, 12, 88. 423, 424; I, 21, §. 179. Über die Mög- lichkeit anderer Auslegung dieser Gesetzesstellen vgl. Dernburg, Preuß. Priv.-Recht, 1 15. Aufl., Halle 1894), S. 691, Anm. 9); b) daß (nach einer von Leidig, S. 198, Anm. 2, angeführten, mir nicht zugänglichen „authentischen Entschei- dung streitiger Rechtsfragen v. 29. Okt. 1822“) in den gemeinrechtlichen Gebieten Hannovers sowohl die erwerbende wie die erlöschende Ver- jährung sich gegen Gemeinden erst in 30 Jahren vollendet; c) daß der Nießbrauch juristischer Per- sonen, wenn seine Dauer nicht auesdrücklich anderweit festgesetzt ist, im Gebiete des gemeinen Rechtes 100 Jahre (vgl. 1. 56 D. de usufr. 7, 1; 1. 8 D. de usu et usufr. 33, 2; Windscheid, Pand., I /6. Aufl., Frankfurt 1887), s. 215, Z. 2, bes. Anm. 8), im Gebiete des rheinischen Rechtes 30 Jahre (Cod. civil, Art. 619) dauert. * Windscheid, a. a. O., §. 117, Anm. 8; Gierke, a. a. O., S. 143, Anm. 3. * Es giebt z. B. Haupt= und Residenzstädte, Kreisstädte, adelige und andere Dorfgemeinden.