350 Zweiter Abschnitt. (8. 97.) Siebenter Titel. Die Samtgemeinden. §. 97. I. Allgemeines. 1 I. Unter einer Samtgemeinde versteht man eine Vereinigung mehrerer selbständiger Gemeinden und Gutsbezirke zu einem weiteren kommunalen Verbande, der eine eigene Organisation hat und dazu berufen ist, alle oder einige der den verbundenen Gemeinden gemeinschaftlichen Angelegenheiten wahrzunehmen. Diese Samtgemeinden erscheinen als der kommunale Zwischenbau zwischen der Ortsgemeinde und dem Kreisverbande. Sie haben in den einzelnen Rechtsgebieten der Monarchie eine sehr verschiedene Bedeutung erlangt und eine verschiedene Ausgestaltung erfahren. In den westlichen Provinzen ruht, wie bereits oben S. 192 ff. angedeutet, in der Samtgemeinde der Schwerpunkt der ört- lichen Kommunalverwaltung; die ganze Verwaltung der Einzelgemeinde wird geführt unter unmittelbarer Aufsicht und Mitwirkung des Vorstehers der Samtgemeinde. In den übrigen Gebietsteilen ist dagegen die Einzelgemeinde der Gesamtgemeinde gegenüber völlig unabhängig, die Zuständigkeit der letzteren erscheint stets als eine aus der grund- sätzlichen Machtfülle der ersteren abgeleitete. In den westlichen Provinzen, beson- ders in der Rheinprovinz, bildet die Samtgemeinde einen notwendigen Bestandteil der kommunalen Organisation des platten Landes, in den übrigen Gebietsteilen dagegen ist die Bildung solcher Samtgemeinden nicht durch das Gesetz unmittelbar vorgeschrieben; bald ist sie durchweg abhängig gemacht von der freien Vereinbarung der Beteiligten, bald ist sie im öffentlichen Interesse gegen den Willen der Beteiligten zugelassen. Keine Samtgemeinden im eigentlichen Sinne, sondern bloße Sozietätsverhält- nisse bilden die Gemeinde= oder Zweckverbände, welchen die Rechte öffentlicher Körper- schaften nicht zukommen. II. 1) Die Wiege der Samtgemeinden hat in den westlichen Provinzen ge- standen, sie haben sich aus der französischen Munizipalverfassung entwickelt, wenngleich dieser selbst der von uns festgestellte Begriff der Samtgemeinde unbekannt war. Bei Einführung des französischen Gemeinderechts wurden hier gewöhnlich mehrere der bestehen- den kleineren Gemeinden unter Vernichtung ihrer Selbständigkeit zu einer einzigen Gemeinde vereinigt, und den Organen der letzteren wurden alle allgemeinen Angelegenheiten über- tragen, während die Organe der ehemaligen Einzelgemeinden auf rein lokale Angelegen- heiten beschränkt wurden. Damit war thatsächlich ein Zustand geschaffen, der sich sonst nur in Samtgemeinden findet, rechtlich jedoch konnte von Samtgemeinden nicht die Rede sein; rechtlich gab es nur größere Einzelgemeinden, aber keine Gemeindeverbände, denn die alten preußischen Gemeinden hatten bei der Vereinigung jede rechtliche Sonderexistenz verloren. Nach der Aufhebung der Fremdherrschaft ließ man die nach dem französischen Rechte gebildeten großen Gemeinden, die Bürgermeistereien, Kantons u. s. w. bestehen, gab aber auch den Ortschaften, aus welchen diese gebildet worden waren, ihre kommunale Selbst- ständigkeit wieder zurück. Die westfälische Landgemeindeordnung v. 3. Okt. 1841 und die rheinische Gemeindeordnung v. 23. Juli 1845 erhoben wieder zu Gemeinden alle diejenigen Orte, welche unter französischer Herrschaft auch nur thatsächlich eine gewisse Selbständigkeit behauptet hatten, indem sie für ihre Kommunalbedürfnisse — sei es auf Grund eines besonderen Etats, sei es auf Grund einer Abteilung des Bürgermeisterei- oder Kantonetats — einen eigenen Haushalt besaßen. Gleichzeitig aber erklärten sie, daß die Bürgermeistereien und die Amter zunächst staatliche Verwaltungsbezirke, daneben aber „in Ansehung solcher Angelegenheiten, welche für alle zu der Bürgermeisterei oder 1 v. Möller, L., §. 111; Schulze, Preuß. Staatsrecht, I, §. 144; v. Stengel, Verw. R., §. 2.