208 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. stimmungen des Concordats, der Verordnung vom 8. April 1852 und andere beseitigen, und die in der Verfassung gewährleistete Forderung der Glaubens- und Gewissensfreiheit endlich vollständig erfüllen!" Motivirung: „Die Be- schlüsse des vaticanischen Concils von 1870 haben nicht nur umgestaltend auf das katholische Kirchenwesen gewirkt, sondern auch Bayern in Bezug auf seine Staatsverfassung, die rechtlichen und socialen Verhältnisse der Staatsange- hörigen schwer gefährdet. Trotz ihrer entschiedenen Proteste während und am Schlusse des Concils und gegen die ihnen nach der Rückkehr von Rom durch die k. Staatsregierung zugekommene Warnung haben die bayrischen Bischöfe die Concilsbeschlüsse ihren Diöcesanen als verbindlich für deren Glauben ver- kündet. Sie haben Das gethan theils mit Umgehung theils gegen ausdrück- liche Verweigerung des k. Placet. Sie haben dadurch eine offene Verfassungs- verletzung begangen. In Folge der widerrechtlichen Verkündigung des Dogmas, der für Einführung desselben von den Bischöfen angewandten Zwangsmaßregeln sind Geistliche und Laien, welche die Annahme der neuen Lehre verweigerten, excommunicirt, sind ihnen die kirchlichen Rechte versagt, ja es sind einzelne sogar in ihren bürgerlichen Verhältnissen ernstlich bedroht worden. Durch diese Vorgänge ist die Beschwerde wegen Mißbrauchs der geistlichen Gewalt allgemein gerechtfertigt. Aber auch auf die nichtkatholischen Staatsangehörigen und deren Beziehungen zu den Katholiken erstrecken sich die Folgen jenes gesetz- widrigen Vorgehens. Der in Bayern anerkannte Grundsatz der religiösen Gleichberechtigung ist auf die Dauer mit den neuen Lehren unvereinbar. Zweifellos wird der religiöse Friede des Landes in dem Augenblick unheilbar gestört, wo es den Bischöfen gelingt, die verderblichen Pläne der römischen Curie zur praktischen Geltung zu bringen. Die Grundlagen des bayrischen Staates als eines Rechts= und Culturstaates sind durch die Verkündigung des neuen Dogmas zu erschüttern versucht worden. Dem gegenüber hat nun allerdings die bayrische Staatsregierung sowohl die Unerläßlichkeit der Ein- holung des kgl. Placet's betont, als auch in dem einen Falle, in welchem es nachgesucht wurde, dasselbe verweigert, indem sie die Lehre von der Unfehlbar- keit des Papstes als eine staatsgefährliche erklärte und diese ihre Ansicht in einem späteren Erlasse des Cultusministers an den Erzbischof von München vom 27. August l. Is. aufrecht erhielt. Sie hat in diesem Falle ausge- sprochen, daß sie weder zur Verbreitung noch zur Durchführung der neuen Lehre mitwirken werde, und daß sie den Maßregeln, welche die kirchlichen Be- hörden gegen die das Dogma nicht anerkennenden Katholiken ergreifen, jede Wirkung auf die politischen und bürgerlichen Verhältnisse der davon Betroffenen versagen und erforderlichen Falls Vorkehrungen treffen werde, welche die Un- abhängigkeit des bürgerlichen Gebietes vom kirchlichen Zwange sichere. Den Worten sind jedoch die entsprechenden Handlungen nicht gefolgt. Nothwendig wird das Ansehen der Staatsgewalt durch das fortwährende unschlüssige Zögern der Regierung tief erschüttert. Weder hat sie bisher den mindesten Versuch gemacht, gegen die die Verfassungsgesetze miß- achtenden Bischöfe mit den ihr zu Gebote stehenden Maßregeln einzuschreiten, noch hat sie den von verschiedenen Seiten begehrten verfassungsmäßigen Schutz gegen die Uebergriffe der geistlichen Gewalt überall gewährt. Eine Kund- gebung über die künftige Haltung und Thätigkeit der Staatsregierung in der brennenden kirchlichen Frage ist bis jetzt dem versammelten Landtage gleichfalls nicht geworden. Hilflos sehen sich die Staatsangehörigen der ausschreitenden Macht Rom's preisgegeben. Insbesondere ist die Staatsregierung im Kampfe gegen die Uebergriffe der Curie in Lehre und Unterricht den Eltern in der wichtigsten Forderung, der Freiheit der religiösen Erziehung, durch keine all- gemeine schützende Anordnung entgegengekommen. Das unthätige Zuwarten der Regierung beunruhigt die Gemüther und raubt ihr das Vertrauen des Landes, das nur gewonnen werden kann, wenn die Staatsregierung nicht mit Worten, wie bisher, sondern durch Thaten für die Rechte des Staates