Das dentshe Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10.) 175 die Verträge mit den Staaten, wie wir sie abgeschlossen haben, eine gewisse Garantie für die Zukunft geben. Würden die Verträge, wie sie Ihnen vorgelegt sind, abgelehnt, so weiß ich in der That nicht, — und ich möchte das hier nicht ausmalen — wo in etwa einem Jahrzehnt die Grenze der Notstände liegen würde, die über Deutschland hereinbrechen würden. Ich bitte Sie noch einmal, sehen Sie diese Verträge als ein Ganzes mit Vaterlandsliebe an; lassen Sie sich nicht durch einzelne Details beirren, sondern legen Sie sich die Frage vor: geht Deutschland mit oder ohne diese Verträge einer gedeihlicheren und aus- sichtsvolleren Zukunft entgegen! — und ich gebe mich der Hoffnung hin, Sie werden mit den verbündeten Regierungen der Ansicht sein, daß die vor- liegenden Verträge geeignet sind, das innere Gedeihen Deutschlands und seine Weltstellung zu erhalten und zu fördern. (Lebhafter Beifall) Nachdem Abg. Reichensperger für die Verträge gesprochen, spricht Graf Kanitz (kons.) dagegen und sagt am Schluß: Sie sprechen immer von der Verteurung des Getreides. Sie halten jeden Zoll auf Lebensmittel für ein Uebel (sehr wahr! links), und auch ich, der ich in den agrarischen Kämpfen der letzten Jahre wahrhaftig nicht hinten gestanden haben, auch ich sage: die landwirtschaftlichen Schutzzölle sind auch nur durch die absolute Notwendigkeit diktiert worden. Der Getreidezoll ist ein Notbehelf; er würde der verwerflichste aller Zölle sein, wenn nicht die Notlage der Landwirtschaft es gebieterisch forderte, gerade diesen Zoll auf- recht zu erhalten. Wenn dem aber so ist, dann darf der Getreidezoll nicht zu einer feilen Ware degradiert werden, wie es nach diesem Vertrage ge- schehen soll. Entweder bedarf die Landwirtschaft dieses Schutzes, — daun ist der Zoll an allen Grenzstrecken gleichmäßig aufrecht zu erhalten, — oder aber die Landwirtschaft bedarf dieses Schutzes nicht, — dann sort mit diesen Zöllen, dann haben wir kein RNecht, diese Zölle ferner zu erheben. (Sehr richtig! links) Meine Herren, ich muß bekennen, daß die ländliche Bevölkerung Deutschlands der ferneren Entwickelung auf diesem Gebiet mit Sorge ent- gegensieht; es ist ein drückendes Gefühl für uns, daß die Landwirtschaft nicht mehr eine gleichberechtigte Stellung neben der Industrie einnimmt. Der Herr Reichskanzler erwähnte vorhin eine Aeußerung Friedrichs des Großen; er sagte: die Industrie ist die Nährmutter des Landes. Ich möchte da die Aeußerung eines anderen bedeutenden Mannes aus dem vorigen Jahr- hundert erwähnen, nämlich von Adam Smith, welcher sagt: seit dem Nieder- gange des römischen Reiches ist es die Praxis aller europäischen Regierungen gewesen, die Industrie der Städte zu bevorzugen auf Kosten der Industrie des platten Landes, also auf Kosten der Landwirtschaft, — und Adam Smith, der Vater des Freihandels, von dem Sie alle gelernt haben oder jedenfalls hätten lernen können, hat gerade dieses Mißverhältnis zwischen Industrie und Landwirtschaft, wie es fast in allen europäischen Staaten sich geltend macht, in höchstem Grade getadelt. Aber, meine Herren, dieses Miß- verhältnis, in welchem wir uns jetzt befinden, daß also die Landwirtschaft in zweiter Linie neben der Industrie steht, wird zu meinem großen Bedauern nicht verfehlen und kann nicht verfehlen, eine gewisse Mißstimmung hervor- zurufen. Ueberall im ganzen Reiche, im Osten, Süden, wo sie wollen, kommt diese Mißstimmung zum Ausdruck, und das bedaure ich im höchsten Grade. Bisher ist die Landwirtschaft gewohnt gewesen, in der Regierung ihre beste Freundin zu erblicken; bei jeder Gelegenheit, namentlich auch bei den politischen Wahlen kam dieses Vertrauen zum Ausdruck. (Hört, hört! links. Heiterkeit.) Ich fürchte, daß dies in künftiger Zeit vielleicht etwas