182 VDie Oefterreitisch-Angarische Menarthhie. (Mai 27. — Juni 3.) tschechische Haupthetzer Dr. Schamanek aus Reichenberg ein, um sür das erledigte Reichstagsmandat der Prager Neustadt zu kandidieren. Eine große Menschenmenge empfing ihn am Bahnhofe, wo deutschfeindliche Reden ge- halten wurden, worauf die Menge lärmend die Straßen durchzog und vor deutschen Häusern Pereatrufe ausstieß. Dr. Schamanek hielt seine Kandi- datenrede. Unter den heftigsten Ausfällen gegen die Regierung und die Deutschen erklärte er, er werde sich dem radikalsten Flügel der Jungtschechen anschließen. Hierauf sprach Dr. Eduard Gregr, der Schamanek als Mär- tyrer in Reichenberg feierte. Die Deutschen in Böhmen seien Fremdlinge, die nur geduldet werden infolge der Lammsnatur der Tschechen, die damit ihre hussitischen Grundsätze aufsgeben. Gregr griff dann Plener an, was stürmische Rufe veranlaßte: „Pereat Plener!“ „Schmach ihm!“ „Wenn er nach Prag kommt, wird er totgeschlagen!“ Gregr kündigte noch die Fort- setzung der Prager Landtagsszenen im Abgeordnetenhause an, worauf neuer- liche Verwünschungen gegen Plener ausgestoßen wurden. Es sprachen noch andere ebenso heftig, darunter Vaschaty, worauf die Versammlung nationale Lieder sang, und mit besonderem Nachdrucke die bekannte, auf die Freund- schaft mit Rußland und Frankreich bezügliche Strophe. Der Gesang wurde in den Straßen fortgesetzt, wobei weitere deutschfeindliche Kundgebungen erfolgten, bis die Polizei die Menge auseinandertrieb. 27. Mai. (Wien.) Kaiser Franz Josef hält eine Ansprache an die Delegationen und betont erheblich eindringlicher, als dies bei den Delegationsempfängen der letzten Zeit der Fall war, das durchaus friedliche Gepräge der internationalen Lage; einen beson- ders erfreulichen Eindruck macht die Erwähnung der „sehr freund- schaftlichen“ Verhältnisse Osterreich-Ungarns zu allen Mächten und die Erklärung, daß auch „die sonstigen der weiteren Erhaltung des Friedens günstigen Umstände ungeschwächt andauern“. Der Kaiser, der mit jedem Anwesenden sprach, ließ die jungtschechi- schen Delegierten Herold, Pacall und Masaryk vollständig unbeachtet, und richtete kein Wort an sie; den vierten, Adamek, that er mit der Frage ab: „Sie gehören heuer wieder der Delegation an?“ Hingegen führte er mit Dr. v. Plener ein längeres Gespräch, das sich insbesondere um die Vor- gänge in Böhmen bewegte. 4. Juni. (Wien.) Auswärtiger Ausschuß der ungarischen Delegation. Nach dem Referat Falks und einer Rede des Grafen Apponyi gibt der Minister des Auswärtigen, Graf Kalnoky, sein Exposee über die auswärtige Lage. Der Minister erinnerte an die in der letzten Session abgegebenen Erklärungen über die auswärtige Politik, insbesondere über die Bündnisse Oesterreich-Ungarns. Die Erklärung des Kaisers, daß seither in der poli- tischen Lage der Monarchie keinerlei Aenderung eingetreten sei, beziehe sich selbstverständlich auch auf das Verhältnis Oesterreich-Ungarns zu den ver- schiedenen Mächten. Endlich sei wohl die Zeit gekommen, um nicht all- jährlich die Festigkeit und Dauerhaftigkeit des Dreibundes betonen zu müssen. Es sei erstaunlich, daß das Weghbleiben dieser ausdrücklichen Betonung Deutungen im entgegengesetzten Sinne erfahren konnte. Er könne auf das Bestimmteste bestätigen, daß an den Beziehungen Oesterreich-Ungarns zu Deutschland und Italien sich in keiner Beziehung etwas geändert