VI gebildet hat. Einem Kenner brauche ich nicht zu sagen, wie schwer es ist diesen massenhaften Stoff in gedrängter Uebersicht zusammenzufassen. Der unendlichen Mannigfaltigkeit und Bedingtheit des historischen Lebens kann nur eine tief in das Einzelne eindringende Schilderung ganz Ge— nüge leisten. Sie werden leicht zwischen den Zeilen lesen, wie oft ich in einem kurzen Satze meine Meinung über eine schwierige Streitfrage sagen, wie oft ich jedes Wort abwägen mußte um bestimmt zu reden ohne Härte, gerecht ohne Verschwommenheit. Das Unternehmen war um so gewagter, da wir in Häusser's Deutscher Geschichte bereits eine umfassende Darstellung der letzten Jahrzehnte des heiligen Reichs besitzen, ein Buch, das bei seinem Erscheinen wie eine politische That wirkte und für immer eine Zierde unserer historischen Literatur bleiben wird. Aber seit dem Tode des unvergeßlichen Mannes ist unsere Kenntniß des napoleonischen Zeitalters, nicht zuletzt durch Ihre Arbeiten, wesentlich erweitert worden. Auch der Standpunkt des historischen Urtheils hat sich verändert. Wer heute durch eine Schilderung jener Epoche das Verständniß der Gegen— wart fördern will, muß die innere Entwicklung des preußischen Staates und die großen Wandlungen des geistigen Lebens in den Vordergrund der Erzählung stellen. In dem einleitenden Buche bin ich nicht darauf ausgegangen neue Thatsachen mitzutheilen. Ich habe mich auch nicht gescheut, zuweilen Allbekanntes zu wiederholen; denn will der Historiker immer und überall neu sein, so wird er nothwendig unwahr. Mein Bestreben war, aus dem Gewirr der Ereignisse die wesentlichen Gesichtspunkte herauszuheben, die Männer und die Institutionen, die Ideen und die Schicksalswechsel, welche unser neues Volksthum geschaffen haben, kräftig hervortreten zu lassen. Darum sind auch die inneren Zustände der kleineren deutschen Staaten nur kurz behandelt; ich denke erst im zweiten Bande, bei der Schilderung der süddeutschen Verfassungskämpfe, mich auf diese Verhält- nisse näher einzulassen. Möchten Sie und andere nachsichtige Richter finden, daß diese Uebersicht einen annähernd richtigen Begriff giebt von den großen Gegensätzen, welche den Staatsbau unseres Mittelalters zer- störten und den Boden ebneten für die weltlichen Staatsgebilde des neuen Jahrhunderts. Mehr als die Umrisse des Bildes konnte ich auf so engem Raume nicht bieten.