4 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. Ernst des deutschen Gewissens führte die verweltlichte Kirche zurück zu der erhabenen Einfalt des evangelischen Christenthums; deutschem Geiste entsprang der Gedanke der Befreiung des Staates von der Herrschaft der Kirche. Unser Volk erstieg zum zweiten male einen Höhepunkt seiner Gesittung, begann schlicht und recht die verwegenste Revolution aller Zeiten. In anderen germanischen Ländern hat der Protestantismus überall die nationale Staatsgewalt gestärkt, die Vielherrschaft des Mittel- alters aufgehoben. In seinem Geburtslande vollendete er nur die Auf- lösung des alten Gemeinwesens. Es ward entscheidend für alle Zukunft der deutschen Monarchie, daß ein Fremdling unsere Krone trug während jener hoffnungsfrohen Tage, da die Nation frohlockend den Wittenberger Mönch begrüßte und, bis in ihre Tiefen aufgeregt, eine Neugestaltung des Reiches an Haupt und Gliedern erwartete. Die kaiserliche Macht, dermaleinst der Führer der Deutschen im Kampfe wider das Papstthum, versagte sich der kirchlichen, wie der politischen Reform. Das Kaiserthum der Habsburger ward römisch, führte die Völker des romanischen Süd- europas in's Feld wider die deutschen Ketzer und ist fortan bis zu seinem ruhmlosen Untergange der Feind alles deutschen Wesens geblieben. Die evangelische Lehre sucht ihre Zuflucht bei den weltlichen Landes- herren. Als Beschützer des deutschen Glaubens behaupten und bewähren die Territorialgewalten das Recht ihres Daseins. Doch die Nation ver- mag weder ihrem eigensten Werke, der Reformation, die Alleinherrschaft zu bereiten auf deutschem Boden, noch ihren Staat durch die weltlichen Gedanken der neuen Zeit zu verjüngen. Ihr Geist, von Alters her zu überschwänglichem Idealismus geneigt, wird durch die tiefsinnige neue Theologie den Kämpfen des politischen Lebens ganz entfremdet; das leidsame Lutherthum versteht nicht die Gunst der Stunde zu befreiender That zu benutzen. Schimpflich geschlagen im schmalkaldischen Kriege beugt das waffengewaltige Deutschland zum ersten male seinen Nacken unter das Joch der Fremden. Dann rettet die wüste Empörung Moritz's von Sachsen dem deutschen Protestantismus das Dasein und zerstört die hispanische Herrschaft, aber auch die letzten Bande monarchischer Ordnung, welche das Reich noch zusammengehalten; in schrankenloser Willkür schaltet fortan die Libertät der Reichsstände. Nach raschem Wechsel halber Erfolge und halber Niederlagen schließen die ermüdeten Parteien den vorzeitigen Re- ligionsfrieden von Augsburg. Es folgen die häßlichsten Zeiten deutscher Geschichte. Das Reich scheidet freiwillig aus dem Kreise der großen Mächte, verzichtet auf jeden Antheil an der europäischen Politik. Unbe- weglich und doch unversöhnt lebt die ungestalte Masse katholischer, luthe- rischer, calvinischer Landschaften durch zwei Menschenalter träge träumend dahin, während dicht an unsern Grenzen die Heere des katholischen Welt- reichs ihre Schlachten schlagen, die niederländischen Ketzer um die Freiheit des Glaubens und die Herrschaft der Meere kämpfen.