24 J. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. ein kundiger Rath für die Rechtshändel der Gegenwart; wenn der junge Jurist Wolfgang Goethe sich aus Datt's Folianten gewissenhaft über Landfrieden und Reichskammergericht unterrichtete, so sah er die biderbe Gestalt des Ritters Götz von Berlichingen leibhaftig auf dem Armen— sünderbänkchen sitzen. Die Reichsverfassung blieb immerhin das einzige Band politischer Einheit für dies zerrissene Volk. Noch im Jahre ihres Unterganges schrieb der Hamburger Publicist Gaspari: „Nur durch den Kaiser sind wir frei, ohne ihn sind wir gar keine Deutsche mehr."“ Aus ihren schwerfälligen Formen sprach noch immer jener altgermanische Staatsgedanke, der schon in den Anfängen unserer Geschichte den sitt- lichen Ernst und den Freiheitsmuth der Deutschen bekundet hatte: die Reichsgewalt war die Schirmerin des gemeinen Friedens und darum ehr- würdig selbst im Verfalle. Das Bewußtsein seiner Einheit konnte dem Volke niemals gänzlich verloren gehen, so lange noch das gemeine Recht bestand und der rechtsbildende Gemeingeist der Nation in der Arbeit der Rechtswissenschaft wie der Gerichte sich bekundete; auch als das gemeine Recht nach und nach von particularistischen Rechtsbildungen überwuchert wurde, blieb die nationale Form der Rechtssprechung aufrecht, das Reich sicherte der Nation die Unabhängigkeit und Ständigkeit der Richterämter. Auf dem Rechte des Kaisers ruhte zuletzt jedes Recht im Reiche; wer der kaiserlichen Majestät widerstand, verlor den Boden unter den Füßen. „Halte ich zum Kaiser, so bleibe ich und mein Sohn immer noch Kur- fürst!“ — mit solchen Worten hatte einst der zaudernde Georg Wilhelm von Brandenburg die Anträge Gustav Adolf's zurückgewiesen. Dieselbe Erwägung hemmte noch im folgenden Jahrhundert jeden tapferen Ent- schluß, sobald ein revolutionärer Wille sich anschickte neue Wege zu bahnen durch die wuchernde Wildniß dieses naturwüchsigen und doch so unnatür- lichen Reichsrechts. Die Politik des Auslandes und des Hauses Oester- reich, die Selbstsucht der kleinen Höfe und die Eifersucht Jedes gegen Jeden, das Gleichgewicht der politischen Kräfte wie die Interessen einer dem Untergang zueilenden Gesellschaftsordnung, das Weltbürgerthum und die Träume von deutscher Freiheit, Rechtsgefühl und uralte Gewöhnung, die Macht der Trägheit und die deutsche Treue, Alles vereinigte sich die bestehende Unordnung aufrecht zu erhalten. Um die Mitte des acht- zehnten Jahrhunderts schien das heilige Reich, nach der Meinung aller Welt, noch einer unabsehbaren Zukunft sicher. — Auf dem Boden dieses Reichsrechts und seiner territorialen Staats- gebilde, und doch in scharfem Gegensatze zu Beiden ist der preußische Staat entstanden. Die zähe Willenskraft der norddeutschen Stämme war dem weicheren und reicheren oberdeutschen Volksthum in der Kraft