46 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. Fürstenköpfe, doch einen unverkennbaren Familienzug zeigen, so auch ihr politischer Charakter. Alle, die großen wie die schwachen, die geistreichen wie die beschränkten, bekunden mit seltenen Ausnahmen einen nüchtern verständigen Sinn für die harten Wirklichkeiten des Lebens, der nicht verschmäht im Kleinen groß zu sein, und alle denken hoch von ihrer Fürstenpflicht. Die Gesinnung des ersten märkischen Hohenzollern, der sich „Gottes schlichten Amtmann an dem Fürstenthum“ nannte, waltet in allen Enkeln; sie kehrt wieder in dem Wahlspruche des großen Kurfürsten „Für Gott und das Volk“; sie spricht aus dem sieberischen Diensteifer des Soldaten- königs, der sich immer bewußt blieb mit seiner Seelen Seligkeit dereinst einstehen zu müssen für das Wohl seines Volkes; sie findet endlich einen tieferen und freieren Ausdruck in dem fridericianischen Worte: „Der König ist der erste Diener des Staates.“ Viele der Hohenzollern haben gefehlt durch allzu gewissenhafte Scheu vor dem Würfelspiele des Krieges, Wenige durch unstete Kampflust; die überlieferte Politik des Hauses suchte den Herrscherruhm in der Wahrung des Rechts und der Pflege der Werke des Friedens, richtete nur zuweilen, in großen Augenblicken, die wohl- geschonten Kräfte des Staates nach außen — auch hierin wie überall das schroffe Gegenbild der gänzlich den europäischen Fragen zugewendeten Staatskunst der Habsburger. Die Dynastie hatte längst gleich den alt- französischen Königen ihr Hausgut an den Staat abgetreten; sie lebte allein dem Ganzen. Während fast alle anderen Territorien des Reichs den Namen und das Wappenschild ihres Fürstenhauses annahmen, trugen die Fahnen der Hohenzollern den alten Reichsadler der Stauferzeit, den sich die ferne Ostmark durch die Jahrhunderte bewahrt hatte, und die Deutsch-Ordensfarben des Landes Preußen. Dies hart politische König- thum erzog ein mißhandeltes und verwildertes Volk zu den Rechten und Pflichten des Staatsbürgerthums. Wo immer man die Zustände deutscher Landschaften vor und nach ihrem Eintritt in den preußischen Staat ver- gleichen mochte, in Pommern, in Ostpreußen, in Cleve und der Graf- schaft Mark, überall hatte der Klang der preußischen Trommeln den Deutschen die Freiheit gebracht: die Befreiung von der Gewalt des Aus- lands und von der Tyrannei ständischer Vielherrschaft. Auf dem Boden des gemeinen Rechts ist dann unter schweren Kämpfen, doch in natür- licher, nothwendiger Entwickelung eine neue reifere Form der politischen Freiheit erwachsen, die geordnete Theilnahme der Bürger an der Leitung des Staates. Nicht das Genie, sondern der Charakter und die feste Mannszucht gab diesem Staate sittliche Größe; nicht der Reichthum, sondern die Ordnung und die rasche Schlagfertigkeit seiner Mittel gab ihm Macht. Doch jetzt am wenigsten konnte die deutsche Nation ein Verständniß gewinnen für die seltsame Erscheinung dieses waffenstarken Staates, wie