74 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. Hände um sein verwüstetes Land zu heben und begünstigte darum grund- sätzlich die Anwerbung von Ausländern für das Heer. Die Regiments- commandeure sollten ihre Cantonslisten im Einverständniß mit den Land- und Steuerräthen aufstellen; seitdem spielte alljährlich in jedem Kreise jener Streit zwischen den militärischen Anforderungen und den bürger- lichen Interessen, der nachher unter wechselnden Formen in der Geschichte Preußens immer wiederkehrte. Für diesmal ward der Kampf zu Gunsten der Volkswirthschaft entschieden. Die bürgerlichen Behörden suchten jeden irgend fähigen oder vermögenden jungen Mann vor der rothen Canto- nisten-Halsbinde zu bewahren. Der König selbst griff helfend ein, befreite zahlreiche Klassen der Bevölkerung, die Neueingewanderten, die Familien aller Gewerbtreibenden, die Hausdienerschaft der Grundherren von der Dienstpflicht; viele Städte, ja ganze Provinzen, wie Ostfriesland, erhielten Privilegien. Das Heer bestand bald nach dem Frieden schon zur größeren Hälfte aus Ausländern. Friedrich dachte hoch von der Armee, nannte sie gern den Atlas, der diesen Staat auf seinen starken Schultern trage; der Kriegsruhm der sieben Jahre wirkte noch nach, der Dienst des gemeinen Soldaten galt in Preußen zwar, wie überall sonst in der Welt, als ein Unglück, doch nicht als eine Schande, wie draußen im Reiche. Der König brachte die großen Sommerübungen auf der Mockerauer Heide zu einer technischen Vollendung, welche die Kunst des Manövrirens seitdem wohl nie wieder erreicht hat, schärfte seinen Offizieren unermüdlich ein, „das Detail zu lieben, das auch seinen Ruhm hat,“ schrieb zu ihrer Belehrung seine militärischen Abhandlungen, die reifsten seiner Werke. Seinen Blicken entging kein Fortschritt des Kriegswesens; noch im hohen Alter bildete er die neue Waffe der leichten Infanterie, die grünen Füsiliere, nach dem Vorbilde der amerikanischen Riflemen. Der Ruhm des Potsdamer Exercier- platzes zog Zuschauer aus allen Landen herbei; in Turin ahmte Victor Amadeus mit seinen Generalen jede Bewegung des großen preußischen Drillmeisters bis auf die gebeugte Haltung des Kopfes andächtig nach; und wenn der junge Leutnant Gneisenau die spitzen Blechmützen der Grenadiere beim Parademarsch in der Sonne funkeln sah, dann rief er begeistert: „Sagt, welches unter allen Völkern ahmet wohl ganz dies. wunderbare Schauspiel nach?“ Und dennoch ist das Heer in Friedrich's letzten Jahren unzweifelhaft gesunken. Die Blüthe des alten Offizierscorps lag auf den Schlachtfeldern; während der sieben Jahre waren — ein beispielloser Fall in der Kriegs- geschichte — sämmtliche namhafte Generale bis auf spärliche Ausnahmen geblieben oder kampfunfähig geworden. Die jetzt emporkamen hatten den Krieg nur in subalternen Stellungen kennen gelernt und suchten das Geheimniß der fridericianischen Siege allein in den Handgriffen des Pa- radeplatzes. Unter den ausländischen Offizieren war mancher zweideutige Abenteurer; man jagte nach Gunst und Gnade, für den stolzen Freimuth