144 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. den Verwaltung kennen. Man ehrte das Unglück durch milde Behand- lung der Aufständischen, während über das russische Polen ein grausames Strafgericht erging. Der Edelmann ward endlich zum Unterthan, mußte sich dem Ansehen des Gesetzes unterwerfen; der Bauer und der Jude durften wieder für die Zukunft schaffen, der friedlichen Arbeit nachgehen ohne vor der Karbatsche des Schlachtizen zu zittern. Die dem alten Polen völlig unbekannte Sicherheit der Rechtspflege lockte zahlreiche Ansiedler und Capitalien aus den deutschen Provinzen auf diesen reichen jungfräu- lichen Boden; der Landbau hob sich zusehends, die Hypothekenordnung ermöglichte eine intensivere Wirthschaft, neue Straßen und Wasserwege entstanden, Warschau nahm überraschend schnell den Charakter einer deutschen Stadt an. Das Aufblühen der Volkswirthschaft war überall unverkennbar. Aber man erfuhr bald, daß Macht und Glück der Staaten nicht allein von militärischen und handelspolitischen Bedingungen abhängen. Die hohe Gerechtigkeit des historischen Schicksals bleibt darum ewig un- erforschlich und nur der ahnenden Andacht erkennbar, weil sie die Ein- zelnen wie die Völker nicht mit gleichem Maße mißt. Unter den Staaten wie unter den Menschen giebt es Glückskinder, denen jeder leichte Er- werb gedeiht, und wieder Andere von härterem Metall, denen nur das schwer Erkämpfte zum Heile gereicht. Was der preußische Staat besaß war der Lohn ernster Arbeit; diese neue gewaltige Gebietserweiterung aber siel ihm in den Schooß nach schwächlichen Feldzügen und ruhmlosen Unter- handlungen, sie wirkte wie Spielgewinn auf einen geordneten Haushalt. Wie oft hatten die Hohenzollern verlockenden Rufen aus dem Auslande widerstanden; diesmal waren sie der Versuchung unterlegen. Preußen besaß jetzt unter zehntehalb Millionen Einwohnern an vier Millionen Slaven und lief Gefahr seiner großen deutschen Zukunft entfremdet zu werden. Die Erwerbung von Warschau und Pultusk war freilich ein nothwendiger Schritt, unbedingt geboten nach den Anschauungen der Zeit, da Preußen den Schlüssel zu seiner Ostgrenze weder an Oesterreich noch an Ruß- land überlassen durfte; den König trifft kein persönlicher Vorwurf, weil er über die Gleichgewichtslehre der Epoche nicht hinaussah und von der Macht der nationalen Gegensätze ebenso wenig ahnte wie alle seine Zeit- genossen. Doch es blieb unmöglich, diese Tausende feindseliger Schlachtizen, diese verdummten, den Kaplänen blind gehorchenden Bauern mit dem protestantischen deutschen Staate zu versöhnen; während der rheinischen Kriege sah man polnische Rekruten in Ketten geschlossen nach dem Westen marschiren, und es geschah zuweilen, daß die Hälfte unterwegs entsprang. Die polnischen Provinzen schwächten die sittliche Kraft des Staates, der ohne die willige Hingebung seiner Bürger nicht bestehen konnte, und brachten seine innere Entwicklung zum Stillstande. Die Theilung Polens steht obenan unter den mannigfaltigen Ursachen jener unheimlichen Er-