164 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. nur im Kriege konnte die siegreiche Minderheit hoffen sich im Besitze der Gewalt zu befestigen. Mit dem italienischen Feldzuge des Jahres 1796 begann die zweite, die für den Welttheil fruchtbarere Epoche des Zeitalters der Revolution. Die revolutionäre Propaganda wurde jetzt erst wahrhaft wirksam; eine neue Ordnung der Dinge verdrängte die alte Ländervertheilung, die über- lieferten Formen von Staat und Gesellschaft in Mitteleuropa. Erst durch Bonaparte's Siege erlangten Frankreichs Waffen ein unbestreitbares Ueber- gewicht. Als der junge Held, die Alpen umgehend, vom Süden her in Oberitalien einbrach, erwies er sich sofort als Meister einer neuen, kühneren Kriegsweise, die ohne Magazine den Krieg durch den Krieg, durch die Hilfsquellen des eroberten Landes zu ernähren verstand und sich nicht scheute, auf die Gefahr der Vernichtung hin, mit verwandter Front dem Feinde den Kampf anzubieten. Die Schlachten waren nicht mehr, wie zur Zeit der alten Lineartaktik, ein einfaches Ringen zweier festgeschlossenen Linien, die einander zu durchbrechen versuchten. Bonaparte gab ihrem Verlaufe dramatische Bewegung und Steigerung; durch die überwältigen- den Massenschläge seiner aufgesparten Reservetruppen erzwang er die Ent- scheidung, wenn die Kraft der vorderen Treffen vernutzt war, und Keiner wußte wie er, die Gunst des Glückes bis zum Letzten auszubeuten. Nicht die Schonung der eigenen Truppen galt ihm als die erste Aufgabe des Heerführers, wie einst den Feldherren der kostbaren alten Söldnerheere — denn jeden Verlust konnte die Conseription leicht ersetzen —: sondern die Zertrümmerung der feindlichen Macht. In raschem Zuge durch die Länder dahinfegend strebte er dem Gegner in's Herz zu stoßen, ihm seine Hauptstadt zu entreißen. Begeistert für sich selber und den Glanz seiner Fahnen, ganz durchglüht von der finsteren, majestätischen Poesie des Krieges, erzog er seine Truppen zu blinder Zuversicht auf seinen Stern, wies ihnen „Ehre, Ruhm und Reichthümer“ als des Krieges höchste Ziele und erfüllte sie bis in's Mark mit einer rastlosen, abenteuerlichen Lands- knechtsgesinnung, die alles Reden von Völkerglück und Völkerfreiheit als hohles Geschwätz verachtete. Er taufte die Franzosen mit dem klug er- fundenen Namen der großen Nation und riß das an den Parteikämpfen verekelte Volk in einen Rausch der Selbstüberhebung und der Kriegslust hinein, der sich stärker und nachhaltiger zeigte als die Freiheitsbegeisterung der ersten Tage der Revolution. Wie die Kriegsweise so erhielt auch die europäische Politik Frankreichs durch den Sieger von Montenotte und Rivoli einen veränderten Charakter. Die Pläne der Republik waren, trotz der kosmopolitischen Schlagworte, womit sie zu prunken liebte, doch nicht wesentlich hinausgegangen über die alten Ziele, welche das bourbonische Haus der nationalen Politik gewiesen hatte: sie wollte ihre Grenzen gegen Osten erweitern, durch die Schwächung Deutschlands dem französischen Staate das Uebergewicht im Rathe Europas